Der Große Katechismus
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weder Pfarrherr noch Prediger brauche, man habe es in Büchern und könne es wohl
selber lernen. Sie lassen die Pfarreien getrost verfallen und wüst werden und dazu
Pfarrherr und Prediger weidlich Not und Hunger leiden, wie es zu den maßlosen
Deutschen paßt. Denn wir Deutschen haben solch schändliche Leute und müssen es
aushalten.
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Das sage ich aber für meine Person: Ich bin auch ein Doktor und Prediger, ja, so ge-
lehrt und erfahren, wie die alle sein mögen, die solche Vermessenheit und Sicherheit
haben. Dennoch mache ich’s wie ein Kind, das man den Katechismus lehrt, und lese
und spreche Wort für Wort am Morgen und wenn ich Zeit habe, das Vaterunser, die
Zehn Gebote, Glaubensbekenntnis, Psalmen usw. Und ich muß noch täglich dazu
lesen und studieren und komme doch nicht so weit, wie ich gerne wollte, sondern
muß ein Kind und Schüler des Katechismus bleiben, und bleibe es auch gerne. Und
diese feinen und wählerischen Leute wollen mit einem Überlesen flugs Doktor über
alle Doktoren sein, alles wissen und nichts mehr brauchen. Wohlan, solches ist auch
ein sicheres Zeichen, daß sie sowohl ihr Amt als auch die Seelen des Volkes, ja dazu
Gott und sein Wort verachten. Sie brauchen nicht mehr zu fallen, sondern sind schon
ganz schrecklich gefallen. Sie hätten es wohl nötig, Kinder zu werden und anzufan-
gen, das ABC zu lernen, das sie längst an den Schuhsohlen abgelaufen zu haben mei-
nen.
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Deswegen bitte ich solche faulen Wänste oder vermessenen Heiligen, sie möchten
sich um Gottes willen überreden lassen und glauben, daß sie wahrlich, wahrlich nicht
so gelehrt und so hohe Doktoren sind, wie sie sich einbilden. Sie sollen nimmermehr
denken, daß sie diese Stücke ausgelernt hätten oder von allen Dingen genug wüßten,
auch wenn es ihnen scheint, daß sie es allzugut kennen. Denn selbst wenn sie es auch
aufs allerbeste wüßten und kennten (was doch nicht möglich ist in diesem Leben), so
ist doch mancher Nutzen und manche Frucht dahinter, wenn man es täglich liest und
übt mit Gedanken und Reden. Denn der Heilige Geist ist bei solchem Lesen, Reden
und Gedenken gegenwärtig und gibt immer neues und mehr Licht und Andacht dazu,
so daß es immer besser und besser schmeckt und [in uns] eingeht, wie Christus auch
verheißt Matthäus 18 (v. 20): „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind,
da bin ich mitten unter ihnen.“
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Darüber hinaus hilft es über alle Maßen gewaltig gegen den Teufel, die Welt, das
Fleisch und alle bösen Gedanken, wenn man mit Gottes Wort umgeht, davon redet
und darüber nachdenkt, so wie auch der erste Psalm die selig preist, die „Tag und
Nacht über dem Gesetz Gottes sinnen“ (Ps 1, 2). Ohne Zweifel wirst du keinen Weih-
rauch oder anderes Räucherwerk stärker gegen den Teufel vorbereiten können, als
wenn du mit Gottes Geboten und Worten umgehst, davon redest, singst oder daran
denkst. Das ist freilich das rechte Weihwasser und Zeichen, wovor er flieht und wo-
mit er sich jagen läßt.
Nun solltest du doch allein schon deswegen solche Stücke gern lesen, von ihnen re-
den, denken und handeln, auch wenn du sonst keine andere Frucht und Nutzen davon
hättest, als daß du den Teufel und böse Gedanken damit verjagen kannst, denn er