Die Bekenntnisschriften - page 333

Der Große Katechismus
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Anfang der Welt bis zu ihrem Ende, und alle Propheten samt allen Heiligen dran zu
lernen gehabt haben und noch immer Schüler geblieben sind und bleiben müssen?
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Denn das muß ja sein: Wer die Zehn Gebote wohl und gut kennt, der muß die ganze
Schrift kennen, so daß er in allen Sachen und Fällen raten, helfen, trösten, urteilen,
richten kann sowohl in weltlichen wie in geistlichen Dingen, und so ein Richter sein
kann über alle Lehre, Stände, Geister, [alles] Recht und was sonst in der Welt sein
mag. Und was ist der ganze Psalter anderes als Gedanken und Übungen des ersten
Gebots? Nun weiß ich ja fürwahr, daß solche faulen Bäuche oder vermessenen Gei-
ster nicht einen Psalm verstehen, geschweige denn die ganze Heilige Schrift, aber den
Katechismus wollen sie kennen und verachten, welcher ein kurzer Auszug und Abriß
der ganzen Heiligen Schrift ist.
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Darum bitte ich abermals alle Christen, besonders die Pfarrherrn und Prediger, sie
möchten sich nicht zu früh für Doktoren halten und sich dünken, alles zu wissen (es
schrumpft beim Dünken und beim gespannten Tuc
h
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), sondern sich täglich darin
üben und es immer betreiben, dazu sich vorsehen mit aller Sorgfalt und allem Fleiß
vor der giftigen Ansteckung durch solche Sicherheit oder Dünkelmeister. Statt dessen
sollten sie stetig fortfahren mit Lesen wie mit Lehren, mit Lernen, Denken und
Nachsinnen, und nicht davon ablassen, solange bis sie erfahren und sicher sind, daß
sie den Teufel tot gelehrt haben und gelehrter geworden sind als Gott selber und alle
seine Heiligen. Werden sie solchen Fleiß daran wenden, so will ich ihnen verspre-
chen, und sie sollen’s auch selbst merken, welche Frucht sie erlangen werden und
wie feine Leute Gott aus ihnen machen wird, so daß sie mit der Zeit selbst fein be-
kennen sollen, daß, je länger und je mehr sie den Katechismus studieren, um so we-
niger sie davon wissen und desto mehr daran zu lernen haben. Dann wird ihnen als
den Hungrigen und Bedürftigen überhaupt erst richtig schmecken, was sie jetzt vor
großer Fülle und Überdruß nicht riechen mögen. Da gebe Gott seine Gnade zu,
Amen.
Vorred
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Diese Predigt ist dazu bestimmt und angefangen, damit sie die Kinder und einfachen
Leute unterrichte: Deswegen heißt sie auch von alters her auf griechisch Katechis-
mus; das ist eine Kinderlehre, die jeder Christ unbedingt kennen sollte. So daß, wer
dies nicht weiß, nicht unter die Christen gezählt und zu keinem Sakrament zugelassen
werden kann. So wie man einen Handwerker, der Regeln und Fertigkeiten seines
Handwerks nicht kennt, aus der Zunft wirft und für untauglich hält. Deshalb soll man
junge Leute die Dinge, die in den Katechismus oder die Kinderpredigt gehören, gut
28 Sprichwort: Wie ein neues, gespanntes Tuch durch Einlaufen beim Waschen an Ausdehnung verliert, so
schrumpfen auch die menschlichen Pläne bei der Ausführung.
29 Diese ursprüngliche Vorrede entspricht der Katechismuspredigt vom 18. Mai 1528, die den Anfang der dem
Katechismus zugrunde liegenden Predigtreihe bildet. Zu der ihr vorangestellten „Vorrede Martin Luthers“ vgl.
oben die Einleitung, S. 10.
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