Die Bekenntnisschriften - page 542

Leuenberger Konkordie
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I. Der Weg zur Gemeinschaft
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Angesichts wesentlicher Unterschiede in der Art des theologischen Denkens und des
kirchlichen Handelns sahen sich die reformatorischen Väter um ihres Glaubens und
Gewissens willen trotz vieler Gemeinsamkeiten nicht in der Lage, Trennungen zu
vermeiden. Mit dieser Konkordie erkennen die beteiligten Kirchen an, daß sich ihr
Verhältnis zueinander seit der Reformationszeit gewandelt hat.
1. Gemeinsame Aspekte im Aufbruch der Reformation
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Aus dem geschichtlichen Abstand heraus läßt sich heute deutlicher erkennen, was
trotz aller Gegensätze den Kirchen der Reformation in ihrem Zeugnis gemeinsam
war: Sie gingen aus von einer neuen befreienden und gewißmachenden Erfahrung des
Evangeliums. Durch das Eintreten für die erkannte Wahrheit sind die Reformatoren
gemeinsam in Gegensatz zu kirchlichen Überlieferungen jener Zeit geraten.
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Über-
einstimmend haben sie deshalb bekannt, daß Leben und Lehre an der ursprünglichen
und reinen Bezeugung des Evangeliums in der Schrift zu messen sei. Überein-
stimmend haben sie die freie und bedingungslose Gnade Gottes im Leben, Sterben
und Auferstehen Jesu Christi für jeden, der dieser Verheißung glaubt, bezeugt.
Übereinstimmend haben sie bekannt, daß Handeln und Gestalt der Kirche allein von
dem Auftrag her zu bestimmen sind, dieses Zeugnis in der Welt aufzurichten, und daß
das Wort des Herrn jeder menschlichen Gestaltung der christlichen Gemeinde überle-
gen bleibt. Dabei haben sie gemeinsam mit der ganzen Christenheit das in den alt-
kirchlichen Symbole
n
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ausgesprochene Bekenntnis zum dreieinigen Gott und der
Gott-Menschheit Jesu Christi aufgenommen und neu bekannt.
2. Veränderte Voraussetzungen heutiger kirchlicher Situation
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In einer vierhundertjährigen Geschichte haben die theologische Auseinandersetzung
mit den Fragen der Neuzeit, die Entwicklung der Schriftforschung, die kirchlichen
Erneuerungsbewegungen und der wiederentdeckte ökumenische Horizont die Kirchen
der Reformation zu neuen, einander ähnlichen Formen des Denkens und Lebens ge-
führt. Sie brachten freilich auch neue, quer durch die Konfessionen verlaufende
Gegensätze mit sich. Daneben wurde immer wieder, besonders in Zeiten gemeinsa-
men Leidens, brüderliche Gemeinschaft erfahren. All dies veranlaßte die Kirchen in
neuer Weise, das biblische Zeugnis wie die reformatorischen Bekenntnisse, vor allem
seit den Erweckungsbewegungen, für die Gegenwart zu aktualisieren. Auf diesen
4 Gemeint sind Überlieferungen der römisch-katholischen Kirche.
5 Symbol ist ein anderer Begriff für Bekenntnis. In unserer Ausgabe (Bd. 1): Altkirchliche Glaubensbekenntnisse
(Apostolikum, Nizänum, Athanasianum). Das 2. Helvetische Bekenntnis (1562) erwähnt die Bekenntnisse der
Konzile von Nizäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalkedon.
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