Die Bekenntnisschriften - page 536

Die Barmer Theologische Erklärung
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fenbar mit dem stillen Wunsche, uns dadurch auch kirchlich unmöglich zu machen.
Um aber noch einmal bindend und eindeutig unsere auf die Schrift gegründete Über-
zeugung auszusprechen, fassen wir die aus der ganzen Heiligen Schrift gewonnene
Auslegung unseres Bibelwortes so zusammen:
„Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in
der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschli-
cher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Ge-
walt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht
gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an
Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden
und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle
Dinge trägt.“
Damit ist ausgesprochen, daß wir Glieder der Bekenntnisfront im Gehorsam und in
der Treue gegen Volk und Staat durch ein göttliches Gebot gehalten sind. Nur des-
halb, weil man nicht mit uns die Heilige Schrift ernst nimmt, kann die ewig neue
Verdächtigung gegen uns ausgesprochen werden. Sonst wüßte man und würde es uns
unterstellen, daß es keine stärkere Bindung für uns geben kann als die, die bei uns mit
Gottes Hilfe bereits vorhanden ist. Die ewig neuen Verdächtigungen machen sicht-
bar, daß die Heilige Schrift bei unseren Gegnern nicht das Ansehen hat wie bei uns
und daß man vom Staate mehr erwartet, als ihm die Schrift für seinen Bereich zu-
schreibt.
Beide, Staat und Kirche, sind Gebundene, diese im Bereich des Evangeliums, jener
im Bereich des Gesetzes. Ihre Bindung bezeichnet den Raum ihrer Freiheit. Jede
Überschreitung der Bindung führt sowohl die Kirche wie auch den Staat in eine ih-
rem Wesen fremde Knechtung. Allein aus der jeder der beiden Größen eigenen Bin-
dung erwachsen ihr Dienst und ihre Aufgaben aneinander. Verkündigt der Staat ein
ewiges Reich, ein ewiges Gesetz und eine ewige Gerechtigkeit, dann verdirbt er sich
selbst und mit sich sein Volk. Verkündigt die Kirche ein staatliches Reich, ein irdi-
sches Gesetz und die Gerechtigkeit einer menschlichen Gesellschaftsform, dann über-
schreitet sie ihre Grenzen und reißt den Staat in ihre eigene Versumpfung mit sich
hinab.
Das meinen wir, wenn wir in Abweisung falscher Lehre sagen:
„Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen beson-
deren Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden
und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen die falsche Lehre,
als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche
Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem
Organ des Staates werden.“
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