Die Bekenntnisschriften - page 533

Die Barmer Theologische Erklärung
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wird aus Christi Gerechtigkeit und Christi Liebe. So allein kann sie etwas anderes
sein als Größe innerhalb der menschlichen Gesellschaft und als soziologische Größe;
so allein kann sie in rechtschaffener Liebe zusammengefügter Leib sein, an welchem
Christus das Haupt ist. Würden wir von der Kirche nicht glauben, daß sie etwas an-
deres ist als menschliche Gesellschaftsform, so würden wir den ganzen von uns ge-
führten Kirchenkampf als unberechtigt, ja als verbrecherisch halten. So aber glauben
wir von der Kirche dies gemeinsam bekennen zu müssen:
„Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort
und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat
mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ord-
nung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeu-
gen, daß sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung
in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.“
Wenn in der Gemeinschaft der Brüder, die nicht aus Geburt, sondern aus Wiederge-
burt Brüder sind, Jesus Christus als der Herr verkündigt wird, so geschieht etwas
grundsätzlich anderes, als wenn eine weltanschauliche oder kulturelle Gemeinschaft
sich die Pflege ihrer Überzeugungen angelegen sein läßt. Denn in der Verkündigung
Jesu Christi als des Herrn geschieht es, daß die in der Kirche Zusammengefaßten neue
Schöpfung werden, wie Christus spricht: „Ihr seid rein um des Wortes willen, das ich
zu euch geredet habe.“
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Darum ist es wesentlich, daß die Kirche mit ihrem Wort be-
zeuge und durch die Art ihres Daseins ein aufgerichtetes Zeichen sei, daß sie nur Kir-
che ist als Eigentum Jesu Christi, daß sie nur leben kann von seinem Trost und seiner
Weisung. Sie bezeugt, in diesem Trost und in dieser Weisung so reich geworden zu
sein, daß sie auch nicht mehr anders leben möchte. In dieser Weise ist die Kirche
Missionarin der Welt, indem sie unter allen menschlichen Gesellschaftsformen als
besonderes Zeichen ins Auge fällt und in ihrer Verkündigung deutet, warum es so und
nicht anders mit ihr bestellt ist. Das gilt von der Kirche unbeschadet der Tatsache, daß
sie für die Gemeinschaft der Brüder, die im Worte rein geworden sind, dennoch zu-
gleich eine Gemeinschaft der Sünder ist, aus demselben Blut und von derselben Her-
kunft wie die Kinder der Welt. Wie könnte sie sonst Mission treiben, wenn sie nicht
in Wort und Wandel bezeichnete, daß gerade so unvollkommene, so verlorene, so
gottlose Menschen wie die Glieder der Kirche zu dem werden und das sein können,
was sie als Glieder der Kirche sind: im Worte durch das Blut Jesu Christi gereinigte
Gotteskinder.
Diese Botschaft und diese Existenz werden aber der Kirche unmöglich gemacht in
dem Augenblick, wo man die Grenze zwischen ihr und der Welt verwischt. Das ge-
schieht immer dann, wenn das freie Belieben der Sünder und nicht mehr das unwan-
delbare Wort Gottes von der Vergebung in Christo die Kirche beherrscht. Wir ver-
stehen sehr wohl, daß man die Wünsche unserer Zeitgenossen und den Wechsel ihrer
9 Joh 15, 3.
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