Die Barmer Theologische Erklärung
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Überzeugung als kirchenbildende Macht in den Raum der Kirche hineinbeziehen
möchte. Man möchte der Welt deutlich machen, daß es in ihrem eigenen Interesse
liegt, kirchlich und christlich zu sein, um auf diese Weise die Welt zu missionieren.
Aber dagegen müssen wir protestieren. Denn so wenig wie die Untertanen sich damit
bei der Obrigkeit beliebt machen können und dürfen, daß sie obrigkeitliche Allüren
annehmen, so wenig der Lehrer ein guter Lehrer wird dadurch, daß er mit den Schü-
lern gemeinsame Sache macht, so wenig wird die Kirche dadurch missionstüchtig,
daß sie sich mit der Welt, welche durch sie missioniert werden soll, auf eine Ebene
stellt. Es muß jeder sich selbst treu bleiben, sonst kann er seinem Nächsten nicht die-
nen. Es muß die Kirche Kirche bleiben, sonst kann sie nicht missionarisch wirken.
4.
Darum muß auch die Gestaltung der Kirche ihrem innersten Wesen entsprechen.
Unser Herr Christus spricht:
„Ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen, und die Oberherren haben Gewalt.
So soll es nicht sein unter euch; sondern, so jemand will unter euch gewaltig sein, der
sei euer Diener“ (Mt 20, 25.26).
Christus wendet sich nicht dagegen, daß im Raume der Welt die Fürsten herrschen
und die Oberherren Gewalt haben. Auch uns ist es eine ernste Sorge, daß wir diesem
Rechte der Welt Rechnung tragen. Aber ebenso ernst möchten wir als Lehrer, Diener
und Glieder der Kirche gerade in diesem Punkte uns nach dem Wort des Herrn von
den weltlichen Fürsten und Oberherrn unterschieden wissen. „So soll es unter euch
nicht sein.“ Mit diesem Wort zeigt Christus klar und deutlich, daß die christliche Ge-
meinde nur als Umkehrung der Welt Bestand hat und nur dann ihrer Verpflichtung
nachkommt, wenn sie diese Umkehrung des weltlichen Schemas auch zum Ausdruck
bringt. Im Blick auf die Gestaltung der Kirche verstehen wir das angezogene Wort
des Herrn so:
„Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über
die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und be-
fohlenen Dienstes.“
Auch in der Kirche gibt es ein Unten und Oben, ein Geführtwerden und ein Führen.
Pfarrer und Gemeinden sind gehalten, ihrer rechtmäßigen kirchlichen Obrigkeit zur
rechten Zeit die Kollekten und Steuernachweise einzuliefern, die Statistiken aufzu-
stellen, die Ordnung der Kirche bei Wahlen und im Gottesdienst aufrechtzuerhalten.
Aber wehe der Kirche, wenn dieses Obrigkeitsverhältnis zum Wesen der Kirche wird.
Schon einmal in der Geschichte der christlichen Kirche ist es dazu geworden: im
Papsttum des Mittelalters. Zum zweiten Male wird es heute so. Denn die in der Kir-
che zur Herrschaft gekommene Führeridee beschränkt sich gerade nicht auf Kol-