Die Barmer Theologische Erklärung
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Wir glauben, nichts zu tun als unsere Pflicht vor Gott, dem allein Weisen und allein
Gerechten, wenn wir in Abwehr der deutsch-christlichen Irrtümer darauf aufmerksam
machen, daß auch die Staatsweisheit in unserer gegenwärtigen Staatsform, über die
wir uns sonst kein Urteil erlauben, nicht Gottes Weisheit, daß auch das Maß der Ge-
rechtigkeit, welches in unserem Staatswesen herrscht, nicht das Maß göttlicher Ge-
rechtigkeit ist. Und ein für allemal müssen wir es betonen, daß wir kein irdisches
Gesetz kennen, durch welches mit Recht göttliches Gesetz gebrochen werden könnte.
„Totaler Staat“, das kann nur heißen: ein Staat, der sich bemüht,
innerhalb
der von
Gott gesetzten Grenzen das gesamte Leben des Volkes zu umfassen. Wollen die
Deutschen Christen eine Umfassung über diese Grenze hinaus, dann verleugnen sie
die Realität und die Aktualität des göttlichen Gebotes.
6.
Wir geben abschließend Zeugnis davon, warum uns die Kirche so groß ist, trotz ihrer
vielleicht äußerlich geringen Gestalt, daß wir immer wieder ihre Einzigartigkeit und
ihre Uneinholbarkeit betonen. Dieses Zeugnis ist beschlossen in den Worten der
Schrift:
„Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt 28, 20).
„Gottes Wort ist nicht gebunden“ (2. Tim 2, 9).
Es gibt kein Staatswesen, es gibt auch kein Volk, für welche das Wort Gültigkeit
hätte, daß Christus bei ihnen wäre bis an der Welt Ende. Aus diesem Grunde gibt es
auch keine Politik, auch keine Kirchenpolitik, die nicht unter das Wort der Schrift
fällt: „Alles Fleisch ist wie Gras.“
Jede politische Rede ist den Machtmitteln dieser
Erde mit Recht ausgesetzt. Das Wort Gottes kann nicht gebunden werden, weil Er bei
uns ist bis an der Welt Ende. In dem einen besteht das andere.
Daraus und allein daraus ergibt sich das der Kirche Eigentümliche, was wir zur Gel-
tung bringen müssen.
„Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi
Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sa-
krament die Botschaft von der freien Gnade auszurichten an alles Volk.“
Wenn wir um die Freiheit des kirchlichen Auftrages kämpfen, dann meinen wir
grundsätzlich etwas anderes als das, was die vergangene Zeit meinte, wenn sie von
der Freiheit des Menschen sprach. Wenn wir betonen, daß die Gemeinde nicht mund-
tot gemacht werden könne, dann bringen wir damit kein demokratisches Prinzip zur
Geltung. Wenn wir zum Ausdruck bringen, daß der einzige Rahmen, innerhalb dessen
zu stehen von dem Verkündiger gefordert werden kann, der Rahmen der Heiligen
10 Jes 40, 6.