Die Schmalkaldischen Artikel
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Es gab nun einige, die sich nicht solcher Tatsünden mit Gedanken, Worten und
Werken schuldig fühlten – wie ich und meinesgleichen in Klöstern und Stiften Mön-
che und Priester sein wollten, die wir mit Fasten, Wachen, Beten, Messehalten, harter
Kleidung und Lagerstätte usw. uns wider böse Gedanken wehrten und mit Ernst und
Gewalt heilig sein wollten – und doch das erbliche, angeborene Böse etwa im Schlaf
taten, was seine Art ist (wie auch Sankt Augustinus und Hieronymus mit anderen be-
kennen). Dennoch hielt ein jeder vom anderen, daß einige so heilig wären, wie wir
lehrten, indem sie ohne Sünde voller guter Werke wären, so daß wir daraufhin unsere
guten Werke anderen als von uns zu erübrigende dem Himmel übergaben und
verkauften. Das ist wirklich wahr, und es liegen dafür Siegel, Briefe und Beispiele vor.
Diese bedurften der Buße nicht. Denn was wollten sie bereuen, da sie doch in böse
Gedanken nicht einwilligten? Was wollten sie beichten, da sie doch die bösen Taten
vermieden? Wofür wollten sie Genugtuung leisten, da sie doch der Tat nicht schuldig
waren, so daß sie sogar anderen armen Sündern ihre überschüssige Gerechtigkeit
verkaufen konnten? Solche Heiligen waren auch die Pharisäer und Schriftgelehrten
zur Zeit Christi.
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Hier kommt der feurige Engel des Sankt Johannes (Offb 10, 1), der Prediger der rich-
tigen Buße, und schlägt mit einem Donner alle beide zusammen und spricht (Mt 3, 2):
„Tut Buße!“ So denken jene: „Wir haben doch Buße getan“; diese denken: „Wir
bedürfen keiner Buße.“ Johannes aber spricht: „Tut alle beide Buße, denn ihr seid
falsche Büßer und diese sind falsche Heilige. Ihr bedürft alle beide der Vergebung der
Sünden, weil ihr alle beide noch nicht wißt, was die richtige Sünde ist, geschweige,
daß ihr für sie büßen oder sie meiden würdet. Keiner von euch ist gut. Ihr seid voller
Unglauben, Unverstand und Unwissenheit über Gott und seinen Willen. Denn da ist
der gegenwärtig, von dessen Fülle wir alle Gnade um Gnade nehmen müssen (Joh 1,
16). Kein Mensch kann ohne ihn vor Gott gerecht sein. Darum, wenn ihr büßen wollt,
so tut es richtig. Eure Buße tut es nicht. Und ihr Heuchler, die ihr keiner Buße
bedürft, ihr Otterngezücht, wer hat euch die Sicherheit gegeben, daß ihr dem
künftigen Zorn entrinnen werdet?“ usw. (Mt 3, 7; Lk 3, 7).
So predigt auch Sankt Paulus Röm 3 (v. 10–12) und spricht: „Es ist keiner verständig,
keiner gerecht, keiner achtet Gott, keiner tut Gutes, auch nicht einer, sie sind alle
untüchtig und abtrünnig.“ Und Apg 17 (v. 30): „Nun aber gebietet Gott allen Men-
schen an allen Enden, Buße zu tun.“ „Allen Menschen“, spricht er, niemand
ausgenommen, der ein Mensch ist. Diese Buße lehrt uns, die Sünde zu erkennen,
nämlich daß wir zu nichts nütze sind, an uns nichts Gutes ist und daß wir
schlechterdings neue und andere Menschen werden müssen.
Diese Buße ist nicht zerstückelt und kümmerlich wie jene, die für die Tatsünden
büßt. Und sie ist auch nicht ungewiß wie jene, denn sie disputiert nicht darüber, was
Sünde und was nicht Sünde ist, sondern wirft alles zusammen und spricht: „Es ist
alles nichts als Sünde mit uns. Was sollen wir lange suchen, aufteilen und unterschei-
den?“ Darum ist hier auch die Reue nicht ungewiß. Denn es bleibt nichts, mit dem wir
etwas Gutes denken könnten, um die Sünde zu bezahlen, sondern es bleibt nur ein
reines, gewisses Verzagen an allem, was wir sind, denken, reden oder tun usw.