Die Schmalkaldischen Artikel
334
abhanden kommen lassen, besonders um der schwachen Gewissen willen, auch um
des jungen, rohen Volkes willen, damit es angehört und in der christlichen Lehre
unterrichtet werde.
Das Aufzählen der Sünden aber soll jedem freistehen, was er aufzählen oder nicht
aufzählen will. Denn solange wir im Fleisch sind, werden wir nicht lügen, wenn wir
sagen (Mt 5, 8): „Ich bin ein armer Mensch voller Sünden“; Röm 7 (v. 23): „Ich fühle
ein anderes Gesetz in meinen Gliedern“ usw. Denn weil die Freisprechung des
einzelnen von dem Amt der Schlüssel herkommt, soll man sie nicht verachten,
sondern hoch- und werthalten wie alle anderen Ämter der christlichen Kirche.
28
Und in diesen Stücken, die das mündliche, äußere Wort betreffen, ist fest darauf zu
bestehen, daß Gott niemandem seinen Geist oder Gnade gibt außer durch oder mit
dem vorangehenden äußeren Wort. Damit schützen wir uns vor den Enthusiasten, das
heißt den Geistern, die sich rühmen, ohne und vor dem Wort den Geist zu haben, und
danach die Schrift oder das mündliche Wort nach ihrem Belieben richten, deuten und
dehnen. So hat es der Müntzer
getan und tun noch viele heutigen Tages, die
zwischen dem Geist und dem Buchstaben scharfe Richter sein wollen und nicht
wissen, was sie sagen oder behaupten.
Denn das Papsttum ist auch weiter nichts als Enthusiasmus, in dem der Papst prahlt,
alle Rechte seien im Schrein seines Herzens
Und was er in seiner Kirche urteilt und
befiehlt, das solle Geist und Recht sein, auch wenn es wider die Heilige Schrift oder
das mündliche Wort ist oder darüber hinausgeht.
Das ist alles der alte Teufel oder [die] alte Schlange, der Adam und Eva auch zu
Enthusiasten machte, vom äußeren Wort Gottes auf die Geisterei und eigene Einbil-
dung führte. Und er tat es doch auch durch andere äußere Worte, so wie auch unsere
Enthusiasten das äußere Wort verdammen und doch selbst nicht schweigen, sondern
die Welt vollplappern und -schreiben, gerade als könnte der Geist nicht durch die
Heilige Schrift oder die mündlichen Worte der Apostel kommen. Aber durch ihre
Schriften und Worte müßte er kommen. Warum unterlassen sie nicht auch ihre
Predigt und ihre Schriften, bis der Geist selber in die Leute, ohne und vor ihren
Schriften kommt, wie sie rühmen, daß er in sie ohne Predigt der Heiligen Schrift ge-
kommen sei? Davon ist jetzt hier nicht weiter zu disputieren, wir haben es anderwärts
genug behandelt.
Denn auch diejenigen, die vor der Taufe glauben oder in der Taufe gläubig werden,
haben es durch das äußere, vorausgehende Wort, so wie die Alten, wenn sie zur Ver-
nunft gekommen sind, zuvor gehört haben müssen, daß „Wer da glaubt und getauft
wird, der ist selig“ (Mk 16, 16), auch wenn sie, zunächst ungläubig, erst nach zehn
Jahren den Geist und die Taufe empfangen.
Cornelius (Apg 10) hatte lange zuvor bei den Juden von dem zukünftigen Messias
gehört, wodurch er vor Gott gerecht und sein Gebet und Almosengeben in diesem
46 Thomas Müntzer († 1525).
47 Nach einer Äußerung von Bonifatius VIII. birgt der Papst alle Rechte im Schrein seiner Brust.
48 So z. B. in „Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament“ (1525).