Die Schmalkaldischen Artikel
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Sünde im Menschen bewirkt hat, übel geraten. Denn die einen sind davon ärger
geworden, insofern sie dem Gesetz feind sind, weil es verbietet, was sie gerne tun,
und gebietet, was sie ungern tun. Deshalb tun sie, wenn sie es ungestraft können, nun
um so mehr wider das Gesetz als zuvor. Das sind dann die rohen, bösen Leute, die
Böses tun, so oft sie Gelegenheit dazu haben.
Die anderen werden blind und vermessen. Sie bilden sich ein, daß sie das Gesetz
halten und daß sie es aus ihren Kräften halten können, wie gerade oben von den
Scholastikern gesagt wurde. Daher kommen die Heuchler und die falschen Heiligen.
Aber die vornehmste Aufgabe oder Wirkung des Gesetzes ist, daß es die Erbsünde
mit allen ihren Folgen offenbart und dem Menschen zeigt, wie sehr tief seine Natur
gefallen und bodenlos verdorben ist, so daß das Gesetz ihm sagen muß, daß er keinen
Gott hat und achtet oder fremde Götter anbetet, was er zuvor und ohne das Gesetz
nicht geglaubt hätte. Dadurch wird er aufgeschreckt, gedemütigt, verzagt, verzweifelt
und will gern, daß ihm geholfen wird. Und er weiß nicht, wo hinaus, fängt an, Gott
feind zu werden und zu murren usw. Das nennt dann Röm 4 (v. 15): „Das Gesetz
erregt Zorn“, und Röm 5 (v. 20): „Die Sünde wird größer durch das Gesetz.“
Die Buße
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Diese Aufgabe des Gesetzes behält das Neue Testament bei und lehrt es auch, wie es
Paulus Röm 1 (v. 18) tut und spricht: „Gottes Zorn wird vom Himmel über alle Men-
schen offenbart“, ebenso Röm 3 (v. 19 f.): „Alle Welt ist vor Gott schuldig, und kein
Mensch ist vor ihm gerecht“, und Christus Joh 16 (v. 8): „Der Heilige Geist wird die
Welt um ihrer Sünde willen anklagen.“
Das ist nun der Blitzstrahl Gottes, mit dem er die offenkundigen Sünder und die
falschen Heiligen zusammen vernichtet. Er läßt keinen recht haben und treibt sie alle
ins Erschrecken und Verzagen. Das ist der Hammer, wie Jeremias (23, 29) sagt:
„Mein Wort ist ein Hammer, der die Felsen zerschmettert.“ Das ist nicht eine Activa
contritio, das heißt eine gemachte Reue, sondern eine Passiva contritio, das heißt das
rechte Herzeleid, Erdulden und Fühlen des Todes.
Und das heißt dann, die rechte Buße anfangen. Und es muß der Mensch hier ein
solches Urteil hören: „Es ist mit euch allen nichts, mögt ihr nun offenkundige Sünder
oder Heilige sein. Ihr müßt alle anders werden und anders handeln, als ihr jetzt seid
und handelt, ihr mögt wer und wie groß sein, weise, mächtig und heilig, wie ihr wollt.
Hier ist keiner gerecht“ usw.
Aber zu dieser Aufgabe des Gesetzes fügt das Neue Testament sogleich durch das
Evangelium die tröstliche Verheißung der Gnade hinzu, der man glauben soll. So
spricht Christus Mk 1 (v. 15): „Tut Buße und glaubt dem Evangelium“, das heißt:
„Werdet und macht es anders, und glaubt meiner Verheißung.“ Und vor ihm her wird
Johannes ein Prediger der Buße genannt, doch zur Vergebung der Sünden (Mk 1, 4).
Das heißt, er sollte sie alle anklagen und zu Sündern machen, damit sie wüßten, wer
sie vor Gott sind, und sich als verlorene Menschen erkennten und so für den Herrn