Die Schmalkaldischen Artikel
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Ferner: Weil niemand wußte, wie groß die Reue sein müßte, damit sie ja vor Gott
ausreichend wäre, gaben sie den folgenden Trost: Wer keine Contritio, das heißt
Reue, haben könnte, der sollte Attritio haben, die ich eine halbe oder den Anfang der
Reue nennen möchte. Denn sie haben selbst keins von beiden verstanden und wissen
auch jetzt noch nicht, was sie bedeuten, sowenig wie ich. Diese Attritio wurde dann
als Contritio angerechnet, wenn man zur Beichte ging.
Und wenn es geschah, daß z. B. einer sprach, er könne nicht bereuen noch über
seine Sünde Leid empfinden, wie es bei Hurenliebe oder Rachgier usw. geschehen
konnte, fragten sie, ob er denn nicht wünsche oder gerne wollte, daß er Reue
empfinden möchte. Sprach er dann: „Ja“ – denn wer wollte hier „Nein“ sagen außer
der Teufel selbst –, nahmen sie es als Reue an und vergaben ihm auf solch ein gutes
Werk hin seine Sünden. Dafür führten sie Sankt Bernhar
als Beispiel an usw.
Hier sieht man, wie die blinde Vernunft in Gottes Sachen umhertappt und in den
eigenen Werken nach ihrer eigenen Einbildung Trost sucht und weder an Christus
noch an den Glauben denken kann. Wenn man es nun bei Licht besieht, ist diese Reue
ein selbstgemachter und erfundener Gedanke – aus eigenen Kräften ohne Glauben
und ohne Erkenntnis Christi. Dabei hätte zuweilen der arme Sünder, wenn er an die
Begierde oder Rache dachte, lieber gelacht als geweint. Davon sind diejenigen
auszunehmen, die entweder durch das Gesetz richtig getroffen oder von dem Teufel
unnötig mit einem traurigen Geist geplagt wurden. Sonst ist diese Reue gewiß reine
Heuchelei gewesen und hat das Begehren der Sünde nicht getötet. Denn sie mußten
bereuen, hätten aber lieber mehr gesündigt, wenn es frei gewesen wäre.
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Mit der
Beichte
stand es folgendermaßen: Jeder mußte alle seine Sünden aufzählen,
was ein unmögliches Ding ist. Das war eine große Marter. Die er aber vergessen
hatte, wurden ihm unter der Bedingung vergeben, daß er sie noch beichten mußte,
wenn sie ihm noch einfielen. Dadurch konnte er niemals wissen, wann er rein genug
gebeichtet hatte oder wann das Beichten einmal ein Ende haben sollte. Trotzdem
wurde er auf seine Werke verwiesen. Und es wurde ihm gesagt, je reiner er beichten
und je mehr er sich schämen und sich selbst vor dem Priester erniedrigen würde, um
so eher und besser würde er für die Sünden Genugtuung leisten; denn eine solche
Demut würde bei Gott gewiß Gnade erwerben.
Hier war auch weder Glaube noch Christus. Und von der Kraft des Freispruchs
wurde ihm nichts gesagt, sondern sein Trost war auf das Sündenaufzählen und Sich-
Schämen gegründet. Es ist aber gar nicht zu schildern, welche Marter, Schurkerei und
Abgötterei solches Beichten angerichtet hat.
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Die
Genugtuung
ist erst recht der allerweitläufigste Teil, denn kein Mensch konnte
wissen, wieviel er für eine einzige Sünde tun sollte, geschweige denn für alle. Hier
fanden sie nun einen Ausweg, indem sie wenig Genugtuung auferlegten, die man
leicht einhalten konnte, wie fünf Vaterunser beten, einen Tag fasten usw. Mit der
übrigen Buße wies man sie in das Fegfeuer.
36 Bernhard von Clairvaux († 1153), einflußreicher Zisterzienserabt.