Die Schmalkaldischen Artikel
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Desgleichen kann auch die Beichte nicht falsch, ungewiß oder zerstückelt sein.
Denn wer bekennt, daß bei ihm alles nur Sünde ist, der erfaßt alle Sünden, läßt keine
aus und vergißt auch keine. So kann auch die Genugtuung nicht ungewiß sein, denn
sie besteht nicht in unserem ungewissen, sündlichen Werk, sondern im Leiden und
Blut des unschuldigen „Lammes Gottes, das der Welt Sünde trägt“ (Joh 1, 29).
Von dieser Buße predigen Johannes und danach Christus im Evangelium und
auch wir. Mit dieser Buße stoßen wir den Papst und alles, was auf unsere guten
Werke gegründet ist, zu Boden. Denn es ist alles auf einem hinfälligen, nichtigen
Grund errichtet, der gute Werke oder Gesetz genannt wird, obgleich kein gutes
Werk da ist, sondern nichts als böse Werke, und obgleich niemand das Gesetz tut
(wie Christus Joh 7, 19 sagt), sondern es alle übertreten. Darum ist dieses Gebäude
nichts als trügerische Lügen und Heuchelei, wo es am allerheiligsten und aller-
schönsten ist.
Und diese Buße währt bei den Christen bis in den Tod, denn sie streitet mit der
übriggebliebenen Sünde im Fleisch durch das ganze Leben hindurch, wie Sankt Pau-
lus Röm 7 (v. 23) bezeugt, daß er mit dem Gesetz seiner Glieder kämpfe usw., und
das nicht durch eigene Kräfte, sondern durch die Gabe des Heiligen Geistes, die auf
die Vergebung der Sünden folgt. Diese Gabe reinigt und fegt täglich die übrigen
Sünden aus und arbeitet daran, den Menschen gerecht, rein und heilig zu machen.
Hiervon wissen der Papst, die Theologen, die Juristen oder andere Menschen nichts.
Sondern es ist eine Lehre vom Himmel, die durch das Evangelium offenbart ist und
bei den gottlosen Heiligen eine Ketzerei heißen muß.
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Andererseits für den Fall, daß einige Sektengeister kommen würden (wie vielleicht
einige bereits vorhanden sind und zur Zeit des Aufruhrs mir selbst vor Augen ka-
men
, die da meinen, daß alle, die einmal den Geist oder die Vergebung der Sünden
empfangen hätten oder gläubig geworden wären – wenn sie danach sündigten,
würden sie gleichwohl im Glauben bleiben und solche Sünden schadeten ihnen
nichts. Sie schreien: „Tu, was du willst. Wenn du glaubst, ist das alles nichts, der
Glaube vertilgt alle Sünden“ usw. Und sie fügen hinzu: Wenn jemand
nach
dem
Glauben und Geist sündige, habe er den Geist und Glauben nie richtig gehabt. Von
solchen unsinnigen Menschen habe ich viele vor mir gehabt, und ich befürchte, daß
noch in einigen ein solcher Teufel steckt.
Darum ist es notwendig, folgendes zu wissen und zu lehren: Wenn die heiligen
Leute – abgesehen davon, daß sie die Erbsünde noch haben und fühlen, für die sie
täglich Buße tun und gegen die sie streiten – irgendwie in eine öffentliche Sünde fal-
len, wie David in Ehebruch, Mord und Gotteslästerung (2. Sam 11), daß dann der
Glaube und der Geist weggewesen sind. Denn der Heilige Geist läßt die Sünde nicht
herrschen und überhandnehmen, daß sie vollbracht werde, sondern steuert dagegen und
wehrt, so daß sie nicht tun kann, was sie will. Tut sie aber, was sie will, so ist der Hei-
lige Geist und Glaube nicht dabei. Denn es heißt, wie Sankt Johannes sagt (1. Joh 3, 9;
5, 18): „Wer aus Gott geboren ist, der sündigt nicht und kann nicht sündigen.“ Und es
41 Als Luther während des deutschen Bauernkrieges 1525 durch eine Predigtreise Frieden stiften wollte.