Die Schmalkaldischen Artikel
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Gewalt, dieses Haupt zu wechseln, es abzusetzen. Ganz so verfuhr das Konzil zu
Konstanz mit den Päpsten, setzte deren drei ab und wählte den vierten
Ich setze
nun den Fall (sage ich), daß der Papst und der Stuhl zu Rom auf jenes verzichten und
dieses annehmen würde, was doch unmöglich ist, denn er müßte sein ganzes Regi-
ment und seinen Stand mit allen seinen Rechten und Büchern ins Gegenteil verkehren
und zerstören lassen. Kurzum, er kann es nicht tun.
Dennoch wäre damit der Christenheit in keiner Weise geholfen, und es würden viel
mehr Sekten entstehen als zuvor. Denn weil man einem solchen Haupt nicht auf
Befehl Gottes untertan sein müßte, sondern aus menschlichem guten Willen, würde es
sehr leicht und bald verachtet werden und zuletzt niemand behalten. Es müßte auch
nicht immer zu Rom oder an einem anderen bestimmten Ort sein, sondern wo und in
welcher Kirche Gott einen solchen Menschen gegeben hätte, der dafür geeignet wäre.
O, das würde ein unabsehbar chaotischer Zustand werden.
Darum kann die Kirche niemals besser regiert und erhalten werden, als daß wir alle
unter dem einen Haupt Christus leben und die Bischöfe, die in bezug auf ihr Amt alle
gleich sind (obwohl sie in bezug auf die Gaben ungleich sind), einträchtig in Lehre,
Glauben, Sakrament, Gebeten und Werken der Liebe usw. entschlossen zusammen-
halten. So schreibt Sankt Hieronymus, daß die Priester zu Alexandrien alle und zu-
sammen die Kirche regierten
wie es die Apostel und danach alle Bischöfe in der
ganzen Christenheit auch getan haben, bis der Papst seinen Kopf über alle erhob.
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Dieses Stück zeigt kräftig, daß der Papst der wahre Endchrist, der Antichrist ist, der
sich über und wider Christus gesetzt und erhöht hat. Weil er die Christen ohne seine
Gewalt nicht selig sein lassen will, die doch nichts ist, von Gott weder angeordnet
noch geboten ist. Das heißt eigentlich, „sich über Gott und wider Gott setzen“, wie
Sankt Paulus sagt (2. Thess 2, 4). Das tut aber weder der Türke noch der Tatar
wie
sehr sie auch Feinde der Christen sind, sondern sie lassen an Christus glauben, wer es
will, und fordern von den Christen nur leibliche Abgaben und Gehorsam.
Aber der Papst will nicht glauben lassen, sondern er spricht, man solle ihm gehor-
sam sein, dann werde man selig.
Das wollen wir nicht tun, wenn wir auch deswegen
in Gottes Namen sterben müßten. Das kommt alles davon, daß er kraft göttlichen
Rechts der Oberste über die christliche Kirche genannt werden sollte. Darum hat er
sich auch Christus gleichstellen und über Christus setzen müssen, [hat] sich das
Haupt, hernach den Herrn der Kirche, zuletzt auch der ganzen Welt und geradezu
einen irdischen Gott rühmen lassen, bis er sich auch den Engeln im Himmelreich zu
gebieten unterstand.
Und wenn man die Lehre des Papstes von der Heiligen Schrift unterscheidet [und
trennt] oder sie dagegenstellt und -hält, ergibt sich, daß die Lehre des Papstes dort, wo
28 Abgesetzt wurden Johannes XXIII. (1410–1415), Gregor XII. (1406–1415) und Benedikt XIII. (1394–1417), neu
gewählt wurde Martin V. (1417–1431).
29 Hieronymus, Kommentar zum Titusbrief, zu Tit 1, 5 f.
30 Tataren, die für Luther als Mohammedaner östlich und nördlich der Türken lebten.
31 Bonifatius VIII. (1294–1303) in seiner Bulle „Unam sanctam“ vom 18. November 1302; am 19. Dezember 1516
von Leo X. mit der Bulle „Pastor aeternus“ erneuert.