Die Bekenntnisschriften - page 275

Die Schmalkaldischen Artikel
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Der vierte Artikel
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Der Papst
ist nicht kraft göttlichen Rechts oder aufgrund des Wortes Gottes das
Haupt der ganzen Christenheit, denn das kommt nur einem zu, der Jesus Christus
heißt. Er ist vielmehr nur Bischof bzw. Pfarrer der Kirche zu Rom und derjenigen, die
sich bereitwillig oder aufgrund menschlicher Ordnung – das heißt der weltlichen
Obrigkeit – ihm zugesellt haben, nicht um unter ihm als einem Herrn, sondern neben
ihm als Bruder und Freund Christen zu sein. Das beweisen auch die alten Konzilien
und die Zeit Sankt Cyprians
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.
Jetzt aber wagt es kein Bischof, den Papst wie zu
dieser Zeit „Bruder“ zu nennen, sondern er muß ihn seinen „allergnädigsten Herrn“
nennen, als ob er auch ein König oder Kaiser wäre. Das wollen, sollen und können
wir nicht auf unser Gewissen nehmen. Wer es aber tun will, der tue es ohne uns.
Hieraus folgt, daß alles dasjenige, was der Papst aus dieser falschen, gottlosen,
frevelhaften, angemaßten Gewalt getan und vorgenommen hat, nichts als teuflische
Taten und Geschäfte gewesen sind und noch sind, um die ganze heilige, christliche
Kirche (soviel an ihm liegt) zu verderben und den ersten Hauptartikel von der
Erlösung in Jesus Christus zu zerstören. Davon ist ausgenommen, was seine weltliche
Herrschaft betrifft, in der Gott auch wohl durch einen Tyrannen und Schurken einem
Volk viel Gutes widerfahren läßt.
Denn alle seine Bullen
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und Bücher liegen vor, in denen er wie ein Löwe brüllt
(wie es der Engel Offb 12 [v. 3] darstellt), daß kein Christ selig werden könne, er sei
denn ihm gehorsam und untertan in allen Dingen, was er will, was er sagt, was er tut.
Was alles nichts anderes ist, als soviel gesagt: „Selbst wenn du an Christus glaubst
und alles an ihm hast, was zur Seligkeit notwendig ist, so ist das doch nichts und alles
umsonst, wenn du mich nicht für deinen Gott hältst, mir untertan und gehorsam bist.“
Dabei ist offensichtlich, daß die heilige Kirche mindestens über fünfhundert Jahre
ohne Papst gewesen ist
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und bis auf den heutigen Tag die griechische Kirche und
Kirchen vieler anderer Sprachen noch nie unter dem Papst waren und es noch nicht
sind. Daher ist es, wie oft gesagt, eine Menschenerfindung, die nicht geboten, unnötig
und nutzlos ist. Denn die heilige, christliche Kirche kann ohne solch ein Haupt gut
bestehen und wäre sicher besser bestehen geblieben, wenn solch ein Haupt nicht
durch den Teufel aufgerichtet worden wäre. Das Papsttum bringt auch keinen Nutzen
in der Kirche, denn es übt kein christliches Amt aus. Daher muß die Kirche ohne den
Papst bleiben und bestehen.
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Ich setze den Fall, daß der Papst darauf verzichten würde, kraft göttlichen Rechts
oder aufgrund von Gottes Gebot der Oberste zu sein, daß man aber, damit die
Einigkeit der Christenheit wider die Sekten und Ketzerei besser erhalten würde, ein
Haupt haben müßte, an das sich die anderen alle hielten. Ein solches Haupt würde
nun durch Menschen erwählt, und es stünde in menschlicher Entscheidung und
25 Cyprian (200/210–258) wurde 248/249 Bischof von Karthago und 258 Märtyrer während der Christenverfolgung
unter Kaiser Valerianus.
26 Päpstliche Urkunden.
27 Für Luther beginnt erst nach Gregor I. (590–604) als [nur] Bischof von Rom mit Sabinianus (604–606) die Reihe
der Päpste.
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