Die Schmalkaldischen Artikel
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Hier war nun auch nichts als Jammer und Not. Einige meinten, sie würden nimmer
aus dem Fegfeuer kommen, weil nach den alten kirchenrechtlichen Bestimmungen zu
einer Todsünde sieben Jahre Buße gehörten. Dennoch gründete sich die Zuversicht
auch auf unser Werk der Genugtuung. Und wenn die Genugtuung hätte vollkommen
sein können, wäre die Zuversicht ganz darauf gegründet worden, und man hätte
weder Glauben noch Christus gebraucht. Aber es war unmöglich. Wenn nun einer
hundert Jahre auf diese Weise Buße getan hätte, hätte er doch nicht gewußt, wann er
genug gebüßt hat. Das bedeutete, immerdar zu büßen und nimmermehr zur Buße
kommen.
Hier kam nun der Heilige Stuhl zu Rom der armen Kirche zur Hilfe und erfand den
Ablaß. Dadurch vergab er und hob die Genugtuung auf, erst einzelne sieben Jahre,
hundert Jahre usw. Und er verteilte ihn unter die Kardinäle und Bischöfe, so daß der
eine hundert Jahre, der andere hundert Tage Ablaß gewähren konnte. Aber die ganze
Genugtuung aufzuheben, behielt er sich allein vor.
Als dies nun begann, Geld einzubringen, und der Handel mit Bullen gut gedieh,
erdachte er das Jubeljahr
und verlegte es nach Rom, das nannte er Vergebung aller
Strafen und Schuld. Da liefen die Leute hinzu, denn es wäre jedermann gern die
schwere, unerträgliche Last losgeworden. Das hieß, die Schätze der Erde zu finden
und zu heben. Sogleich eilte der Papst auf diesem Weg weiter und machte viele
Jubeljahre nacheinander
Aber je mehr Geld er verschlang, um so weiter wurde ihm
der Schlund. Darum schickte er es danach durch Legaten hinaus in die Länder, bis
alle Kirchen und Häuser voll von Jubeljahren wurden.
Zuletzt drängte er sich auch ins Fegfeuer unter die Toten ein, zuerst mit Messen,
Vigilien und Meßstiftungen für Verstorbene, danach mit dem Ablaß und dem
Jubeljahr. Schließlich wurden die Seelen so billig, daß er eine um einen Schwert-
grosche
freigab.
Noch half auch das alles nicht. Denn der Papst – obwohl er die Leute lehrte, sich
auf diesen Ablaß zu verlassen und ihm zu vertrauen – machte es doch selbst
wiederum auch ungewiß. Denn er setzte in seine Bulle: „Wer des Ablasses oder des
Jubeljahres teilhaftig werden will, der soll bereut und gebeichtet haben und Geld
geben.“
Nun haben wir oben gehört, daß diese Reue und Beichte bei ihnen
ungewiß und Heuchelei ist. Desgleichen wußte auch niemand, welche Seele im
Fegefeuer war. Und falls einige darinnen waren, wußte niemand, welche richtig
bereut und gebeichtet hatten. So nahm er das liebe Geld, lenkte ihre Zuversicht
unterdessen auf seine Macht und den Ablaß und verwies sie doch andererseits auf
ihre ungewissen Werke.
37 Das Jubeljahr, auch „Heiliges Jahr“, wurde von Bonifatius VIII. (1294–1303) für das Jahr 1300 eingeführt und
sollte nur alle hundert Jahre begangen werden.
38 1300, 1350, 1390, 1423, 1450, 1475, 1500, 1525 – zuletzt 1983.
39 Der seit 1456/57 in Sachsen geschlagene Schwertgroschen – benannt nach den Kurschwertern auf dem Avers –
hatte einen relativ geringen Silbergehalt und wurde ab 1482 als halber Schwertgroschen geprägt, der ab 1491 im
Verhältnis zum Rheinischen Gulden 6 Pfennigen entsprach.
40 So z. B. in einem Ablaßplakat von 1517.