Abhandlung über die Amtsgewalt des Papstes und der Bischöfe
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Päpste und ein solches Reich für verflucht halten. So lehrt Paulus eindeutig: „Selbst
wenn ein Engel vom Himmel ein anderes Evangelium lehrte als das, was ich euch
gelehrt habe, sei er verflucht“ (Gal 1, 8). Und in der Apostelgeschichte: „Man muß
Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5, 29). Ebenso wird im Kirchenrecht
klar gelehrt, daß man einem häretischen Papst nicht gehorchen darf.
[484] Der levitische Hohepriester war aus göttlichem Recht der oberste Priester,
und dennoch mußte man den gottlosen Hohenpriestern nicht gehorchen, wie die
Konflikte des Jeremia und der anderen Propheten mit den Hohenpriestern zeigen. Die
Apostel hatten mit Kaiphas Konflikte und mußten ihm nicht gehorchen (Apg 4). Es
steht aber fest, daß die römischen Päpste mit ihrem Anhang gottlose Lehren und
gottlose Kulte verteidigen. Und offensichtlich treffen die Zeichen des Antichrists auf
das Reich des Papstes und auf seine Anhänger zu. Denn Paulus, der im zweiten Thes-
salonicherbrief den Antichristen beschreibt, nennt ihn den „Feind Christi, der sich
über alles erhebt, was Gott genannt oder als Gott verehrt wird, der im Tempel Gottes
sitzt wie ein Gott“ (2. Thess 2, 3 f.). Er spricht also von jemandem, der in der Kirche
herrscht, nicht von den heidnischen Königen, und nennt ihn „Feind Christi“, weil er
eine dem Evangelium widerstreitende Lehre erfinden und sich göttliche Autorität
anmaßen werde. Erstens aber steht fest, daß der Papst in der Kirche herrscht und unter
dem Vorwand der kirchlichen Autorität und des Dienstes sich dieses Reich auf-
gerichtet hat. Er nimmt nämlich diese Worte in Anspruch: „Dir werde ich die Schlüs-
sel geben“ (Mt 16, 19). Sodann steht die Lehre des Papstes auf vielfältige Weise in
Widerspruch zum Evangelium, und der Papst maßt sich göttliche Autorität auf
dreifache Weise an: Erstens, weil er sich das Recht herausnimmt, die Lehre Christi
und die von Gott eingesetzten Gottesdienste zu verändern, und seine Lehre und seine
Gottesdienste beachtet wissen will, als wären sie von Gott. Zweitens, weil er sich die
Amtsgewalt anmaßt, nicht allein in diesem Leben zu lösen und zu binden, sondern
sich auch das Recht über die Seelen nach diesem Leben anmaßt. Drittens, weil der
Papst sich nicht von der Kirche oder von irgend jemandem beurteilen lassen will und
seine Autorität über das Urteil der Konzile und der ganzen Kirche stellt. Dieses weder
von der Kirche noch von irgend jemandem Beurteilt-werden-Wollen bedeutet aber,
sich zum Gott machen. Schließlich verteidigt er diese so schrecklichen Irrtümer und
diese Gottlosigkeit [485] mit höchster Grausamkeit und tötet, die ihm nicht
zustimmen.
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Angesichts dessen müssen alle Christen sich davor hüten, Teilhaber der gottlosen
Lehre, der Lästerungen und der ungerechten Grausamkeit des Papstes zu werden.
Deshalb müssen sie den Papst mit seinem Anhang als das Reich des Antichrists
verlassen und verurteilen, wie Christus befahl: „Hütet euch vor den falschen Pro-
pheten“ (Mt 7, 15). Und Paulus befahl, die gottlosen Lehrer zu meiden und als etwas
Fluchwürdiges zu verdammen (Tit 3, 10). Und im 6. Kapitel des zweiten Korinther-
briefs sagt er (V. 14): „Gesellt euch nicht zu den Ungläubigen, denn welche Gemein-
schaft hat das Licht mit der Finsternis?“
Von der gemeinsamen Überzeugung so vieler Völker abzuweichen und Schismati-
ker genannt zu werden, wiegt schwer. Aber die göttliche Autorität verbietet allen,