Abhandlung über die Amtsgewalt des Papstes und der Bischöfe
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erfuhr die Autorität des römischen Bischofs zum ersten Mal aus menschlichem
Recht, das ist durch Anordnung eines Konzils, einen Zuwachs. Wenn nun der
römische Bischof schon aus göttlichem Recht die Oberherrschaft gehabt hätte, so
wäre das Konzil nicht befugt gewesen, ihm etwas von seinem Recht zu nehmen
und auf den Bischof von Alexandria zu übertragen. Vielmehr hätten alle Bischöfe
im Orient für alle Zeiten ihre Einsetzung und Bestätigung vom römischen Bischof
einholen müssen.
6. Ferner hat das Konzil von Nizäa festgesetzt, daß die Bischöfe von ihren Gemein-
den in Gegenwart eines oder mehrerer Bischöfe aus der Nachbarschaft gewählt
werden sollen. Dieses ist auch im Abendland, in den lateinischsprachigen Ge-
meinden befolgt worden, wie Cyprian und Augustin bezeugen. So nämlich sagt
Cypria
im 4. Brief an Cornelius: „Deswegen muß sorgfältig nach göttlicher
Tradition und apostolischem Brauch bewahrt und beibehalten werden, was auch
bei uns und in fast allen Provinzen eingehalten wird: daß zur formgerechten Feier
einer Ordination die benachbarten Bischöfe der Provinz bei dem Volk, dessen
Vorsteher ordiniert wird, zusammenkommen und der Bischof in Gegenwart des
Volks, das den Lebenswandel jedes einzelnen sehr gut kennt, gewählt wird. Dies
ist auch, wie wir sehen, bei euch bei der Wahl des Sabinus, unseres Kollegen, ge-
schehen: Der Abstimmung aller Brüder und dem Urteil der Bischöfe, die sich
eingefunden hatten, entsprechend wurde ihm das Bischofsamt übertragen und die
Hände wurden ihm aufgelegt.“ Dieses Verfahren nennt Cyprian göttliche Über-
lieferung und apostolischen Brauch, und er versichert, es werde in fast allen
Provinzen so gehalten. Weil nun im größten Teil der Welt, in den griechisch- und
lateinischsprachigen Gemeinden, weder um die Einsetzung noch um die Bestäti-
gung beim römischen Bischof nachgesucht wurde, ist hinreichend deutlich, daß
die Gemeinden [476] damals dem römischen Bischof keinen Vorrang und keine
Herrschaft beigemessen haben.
7. Eine solche Oberherrschaft ist auch undurchführbar. Denn es ist unmöglich, daß
ein einziger Bischof der Aufseher aller Gemeinden des ganzen Erdkreises sein
könnte oder daß die Gemeinden vom Ende der Welt bei diesem allein um die
Ordination nachsuchen könnten. Denn es steht fest, daß das Reich Christi über
den ganzen Erdkreis ausgebreitet ist und es heutzutage viele Gemeinden im
Orient gibt, die nicht vom römischen Bischof die Ordination oder Bestätigung
einholen. Weil also eine solche Oberherrschaft undurchführbar ist, niemals in
Brauch war und von den Gemeinden im größten Teil der Welt nicht anerkannt
wird, ist hinreichend deutlich, daß sie nicht von Gott eingesetzt wurde.
8. Viele alte Konzile sind einberufen und abgehalten worden, bei denen der Bischof
von Rom nicht den Vorsitz führte, wie das von Nizäa und die meisten anderen.
Dies ist auch ein Indiz dafür, daß die Kirche damals den Vorrang und die
Oberherrschaft des römischen Bischofs nicht anerkannt hat.
2 Cyprian († 258), Brief 67, Kap. 5.