Abhandlung über die Amtsgewalt des Papstes und der Bischöfe
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18, 20) usw. Er verleiht also die Schlüssel grundsätzlich und unmittelbar der Kirche,
wie auch aus demselben Grund die Kirche grundsätzlich das Recht zur Berufung hat.
Daraus folgt zwingend, daß Petrus in jenen Sprüchen als Repräsentant des ganzen
Apostelkollegiums erscheint. Daher verleihen sie dem Petrus weder Vorrecht noch
Oberhoheit, noch Herrschaft.
[479] Wenn aber gesagt wird: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“ (Mt
16, 18), so ist gewiß, daß die Kirche nicht auf die Autorität eines Menschen gebaut
ist, sondern auf den Dienst an jenem Bekenntnis, das Petrus abgelegt hatte und mit
dem er verkündet, Jesus sei Christus, der Sohn Gottes. Deshalb redet er ihn als einen
Diener an: „Auf diesen Felsen“, das heißt: auf diesen Dienst. Ferner ist der Dienst des
Neuen Bundes nicht an Orte oder Personen gebunden wie der Levitendienst, sondern
ist über den ganzen Erdkreis verstreut und befindet sich da, wo Gott seine Gaben gibt:
Apostel, Propheten, Hirten, Lehrer (Eph 4, 11). Wirksam ist jener Dienst nicht wegen
der Autorität irgendeiner Person, sondern wegen des von Christus überlieferten
Wortes. Auch die meisten der heiligen Väter verstehen den Satz „Auf diesen Felsen“
nicht von der Person oder Oberhoheit des Petrus. So Origenes, Ambrosius, Cyprian,
Hilarius, Beda. [480] Chrysostomus schreibt: „,Auf diesen Felsen [petra]‘, sagt er,
nicht ,auf Petrus‘. Denn nicht auf einen Menschen, sondern auf den Glauben des
Petrus baute er seine Kirche. Was für ein Glaube aber war dies? Du bist Christus, der
Sohn des lebendigen Gottes.
Hilarius: „Dem Petrus offenbarte es Gottvater, daß er
sagte: Du bist der Sohn des lebendigen Gottes. Also wurde auf diesem Felsen des
Bekenntnisses der Bau der Kirche errichtet. Dieser Glaube ist das Fundament der
Kirche.
Und wenn gesagt wird: „Weide meine Schafe“ (Joh 21, 17), ferner: „Liebst du mich
mehr als diese?“ (Joh 21, 15), so folgt daraus noch nicht, daß dem Petrus eine
besondere Oberherrschaft gegeben sei. Er befiehlt ihm nämlich zu weiden, das ist: das
Wort zu predigen und die Kirche mit dem Wort zu leiten, was dem Petrus gemeinsam
mit den übrigen Aposteln zukommt.
[2. Zu den beiden Schwertern]
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Der zweite Artikel ist viel leichter zu durchschauen, denn Christus hat den Aposteln
nur eine geistliche Amtsgewalt gegeben, das heißt den Auftrag, das Evangelium zu
verkündigen, die Vergebung der Sünden zuzusprechen, die Sakramente zu verwalten,
die Bösen ohne [481] körperliche Gewalt zu exkommunizieren, und er gab ihnen
nicht die Schwertgewalt oder das Recht, weltliche Reiche zu errichten, zu erobern
oder zu verleihen. Christus sagt nämlich: „Geht und lehrt sie halten, was ich euch
befohlen habe“ (Mt 28, 19 f.). Ferner: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich
euch“ (Joh 20, 21). Es steht aber fest, daß Christus nicht gesandt wurde, daß er das
8 Sinngemäße Wiedergabe einer Stelle aus der 54. Matthäushomilie von Johannes Chrysostomus († 407).
9 Hilarius von Poitiers († 367), Von der Trinität, Buch 6, Kap. 36 f.