Die Barmer Theologische Erklärung
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Kirchen bezeichnen? – Hat die Union überhaupt ein Bekenntnis? – Uns ist bewußt,
daß diese und andere Fragen noch ihrer einheitlichen Beantwortung harren, und
nichts liegt uns ferner, als sie in irgendeinem Sinne zu verharmlosen. Dabei ist uns
bewußt, daß die neuerworbenen Erkenntnisse über den Unterschied des genuin Re-
formatorischen und der später aufkommenden orthodoxen Theologien erheblicher
[sind], als man lange Zeit meinte. Uns als Schülern der Reformatoren geht es darum,
das Gespräch dort wieder anzuknüpfen, wo es im 16. Jahrhundert abgebrochen wor-
den ist, nicht aber darum, den Ausgangspunkt im 17. Jahrhundert zu wählen. Wird
das beachtet, dann wird das Verhältnis der Konfessionen sehr viel echter.
Wir sind der Überzeugung, daß die Erkenntnis von diesem Unterschiede bei uns
sehr viel klarer und theologischer ist als bei unseren Gegnern, und verabscheuen es,
die konfessionelle Frage mit einer politischen zu verquicken, als ob der Unterschied
von Luthertum und Calvinismus durch völkische Verschiedenheiten erklärt werden
könnte. Aber bei dieser Erkenntnis können wir nicht umhin, jetzt gemeinsam zu re-
den und gemeinsam zu kämpfen. Denn der Angriff auf die christliche Substanz, wie
er von seiten der Deutschen Glaubensbewegung und von seiten der Deutschen Chri-
sten erfolgt, liegt restlos außerhalb des Verhältnisses der Konfessionen. Wir vermö-
gen die Deutschen Christen nicht anders zu verstehen denn als die Vorläufer und –
gewiß meist ungewollt –Vorkämpfer der Deutschen Glaubensbewegung selbst. Damit
wollen wir nicht gesagt haben, daß es unter ihnen nicht Menschen gäbe, die nur aus
einem Irrtum heraus sich in der Front der Deutschen Christen befinden; aber solange
sie sich dort befinden, können wir sie nur mit den extremen Gegnern zusammen in
einer Front stehend erblicken. Daran ändert auch nichts der kürzlich von den Deut-
schen Christen eingeschlagene Kurs, solange wir nicht der Überzeugung sind, daß die
neuerliche Betonung des lutherischen Bekenntnisses bei den Deutschen Christen aus
anderen als aus taktischen Erwägungen erfolgt. Hierfür muß von ihnen der Beweis
geliefert werden, indem sie durch sichtbare Zeichen den Willen bekunden, die durch
ihre Mitschuld herbeigeführte Zerstörung der Reste evangelischer Kirchen in
Deutschland wiedergutmachen zu wollen.
Es erhebt sich die Frage, wie wir uns unsere Bekenntnis- und Arbeitsgemeinschaft
in Zukunft denken. Wir können darauf nur antworten, daß wir das nicht wissen und
nicht den Mut haben, Gott in sein Weltregiment hineinzupfuschen. Denn wir sehen
unsere Bekenntnisgemeinschaft so: Gott hat sie – und nicht wir haben sie herbeige-
führt. Denn unsere theologische Entwicklung ging, weit entfernt davon, eine Annähe-
rung der Konfessionen herbeizuführen, vielmehr in der Richtung, daß wir uns unseres
Konfessionsstandes von Tag zu Tag mehr bewußt wurden. Darum mag Gott sehen,
nachdem er uns diese große und schöne Gemeinschaft gegeben hat, wie es weiter-
geht. Wir trauen ihm zu, daß er es herrlich hinausführt.
Nachdem es denn vor aller Welt Augen ist, daß Gott uns ein gemeinsames Wort des
Glaubens bereits seit langem in den Mund gelegt hat, versuchen wir jetzt auch, die-
sem gemeinsamen Wort Ausdruck zu verleihen: