Die Barmer Theologische Erklärung
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Verkündigung von Jesus Christus ein und dasselbe. Vielmehr ist es so, daß Jesus
Christus nicht verwirklichte Idee, sondern ins Fleisch gekommener Gott ist, der sich
erniedrigt hat, um uns von den Versuchen der Selbsterhöhung und der Selbstüberhö-
hung zu erlösen, der noch heute zu uns kommt in seinem Wort als der einmal Er-
niedrigte. Denn er selbst ist das Wort, das von Anfang war, das in der Zeit erschienen
ist und das uns offenbar wird in der Predigt, die in der Gemeinde geschieht. Daraus
folgt aber, daß in der Gemeinde nur er gehört werden soll. Alles Vertrauen und aller
Gehorsam, der im Leben und im Sterben getätigt wird, darf nur Vertrauen und Ge-
horsam ihm gegenüber sein. Wo er im Leben einen Grund schenkt, ist dieser Grund
so viel fester als alle anderen, die man nennen möchte, daß diese anderen Grundlagen
im Leben und Sterben schlechthin nicht wert sind, neben ihm genannt zu werden. Wo
ein Anspruch von ihm her uns im Leben oder Sterben trifft, ist dieser Anspruch so
dringlich, daß alle anderen noch so ernsten Ansprüche in diesem Augenblick als Ge-
horsamsforderung hinfällig sind, wo er Gehorsam von uns erheischt.
Eben dies wird heute von denen bestritten, die sich fälschlicherweise auch Kirche
nennen.
„Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer
Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereig-
nisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“
Wir dürfen um unseres Herrn Jesu Christi willen nicht müde werden, immer wieder
zu betonen, daß es falsche Lehre ist, wenn man neben die Bindung an das in Christo
fleischgewordene Wort und das in ihm gepredigte Wort noch andere Bindungen für
die Kirche stellt. Man ist dauernd und nachhaltig an die Kirche und an ihre Glieder
mit dem Anspruch herangetreten, die Ereignisse des Jahres 1933 als bindend für die
Verkündigung und Schriftauslegung, als Gehorsam heischend neben der Heiligen
Schrift und über ihren Anspruch hinaus anzuerkennen. Wenn wir dagegen protestie-
ren, dann protestieren wir nicht als Volksglieder gegen die jüngste Geschichte des
Volkes, nicht als Staatsbürger gegen den neuen Staat, nicht als Untertanen gegen die
Obrigkeit, sondern wir erheben Protest gegen dieselbe Erscheinung, die seit mehr als
200 Jahren die Verwüstung der Kirche schon langsam vorbereitet hat. Denn es ist nur
ein relativer Unterschied, ob man neben der Heiligen Schrift in der Kirche geschicht-
liche Ereignisse oder aber die Vernunft, die Kultur, das ästhetische Empfinden, den
Fortschritt oder andere Mächte und Größen als bindende Ansprüche an die Kirche
nennt. Alle diese Größen können die Verkündigung von Christus nicht begrenzen, sie
können auch nicht neben Christus als Gegenstände der Verkündigung treten, sie kön-
nen vielmehr in der Verkündigung keinen anderen Raum haben als diesen: Sie sind
verschiedene Malzeichen der einen und im Grunde unveränderten Welt, die in Chri-
stus, aber nur in Christus, Erlösung finden kann.