Die Bekenntnisschriften - page 531

Die Barmer Theologische Erklärung
271
2.
Wir wissen uns gerufen, gerade heute zu sagen, worin das Werk Christi für uns, an
uns und in uns besteht. Wir müssen diesem Ruf folgen, damit wir als Lehrer, Diener
und Glieder der Kirche die Menschen, soweit möglich, vor einer Verwechslung des
Werkes Christi mit anderen Werken bewahren. Das Werk Christi ist zusammenfas-
send ausgedrückt in den Worten der Schrift:
„Jesus Christus ist uns gemacht von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur
Heiligung und zur Erlösung“ (1. Kor 1, 30).
Dieses Bibelwort faßt die Botschaft der Heiligen Schrift so zusammen, daß offenbar
wird: Das Werk Christi ist nicht eine Teilerscheinung in einem in sich selbst ablau-
fenden Erlösungsprozeß der Menschen, es ist auch in keinem Sinne Fundament für
ein von Menschen zu leistendes Werk, sondern es ist als sein, und nur als sein Werk
umfassend. Es begreift in sich alles, was Gott zur Behebung menschlichen Elends
getan hat, tut und tun wird. Es leidet keinerlei Ergänzung und Unterstützung von
seiten sündiger, ungläubiger oder gläubiger Menschen. Es ist allgenugsam und erträgt
darum auch keinerlei Zerteilung und Zerspaltung.
Wir glauben, diesem Bibelwort heute folgende Auslegung geben zu müssen:
„Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und
mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben;
durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu
freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.“
Wir versuchen also, dem umfassenden Charakter des Werkes Christi dahin Ausdruck
zu verleihen, daß er uns nicht nur aus der Sünde in den Stand der Gnade versetzt, um
uns dann uns selbst zu überlassen, sondern daß er vielmehr uns darum aus Sünde und
Gottlosigkeit erlöst, damit wir sein eigen seien und
unter
ihm leben, so daß seine
Gegenwart in dem von ihm geschenkten Leben als richtender und uns rettender An-
spruch dauernd an uns herantritt, aber zugleich uns frohe Befreiung aus den gottlosen
Bindungen dieser Welt bedeutet, so daß wir ihm frei und dankbar an seinen Geschöp-
fen dienen.
Denn nicht darum lehnen wir es ab, daß neben ihn und sein Wort in der Heiligen
Schrift noch andere Offenbarungsquellen treten, weil wir uns etwa gerufen wüßten,
eine bestimmte theologische Erkenntnistheorie durchzufechten. Vielmehr geschieht
unser Protest gegen andere Offenbarungsquellen in der Erkenntnis, daß der Anspruch
solcher anderen Quellen ein Anspruch göttlicher Bindung und damit eine Leugnung
der in Christo uns widerfahrenen Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung ist.
Wer uns vorwirft, daß unsere Verkündigung kein Verständnis für die göttliche
Schöpfung und das göttliche Weltregiment habe, der macht uns diese Vorwürfe aus
Unverstand oder aus Böswilligkeit. Wir erfahren die Schönheit der Kreaturen Gottes
und ihre Dämonie, wir erfahren Höhepunkte und Tiefstände in der unter Gottes Welt-
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