Das Augsburger Bekenntnis
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Woher haben die Bischöfe das Recht, solche Überlieferungen den Kirchen
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zur
Verstrickung der Gewissen aufzuerlegen, obwohl Petrus verbietet, den Jüngern ein
Joch aufzuerlegen (Apg 15,10), [und] obwohl Paulus sagt, ihnen sei die Vollmacht
zum Aufbauen, nicht zum Zerstören gegeben (2. Kor 10, 8)? Warum vermehren sie
die Sünden durch solche Überlieferungen?
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Die Schrift verwirft solche Satzungen] Es gibt aber
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klare Zeugnisse, die es
verbieten, Überlieferungen einzusetzen, die Gott versöhnen oder als heilsnotwendig
gelten sollen. Paulus [sagt] Kol 2, 16: „Niemand richte euch wegen Speise und Trank,
wegen eines bestimmten Feiertages, Neumondes oder Sabbats.“ Ebenso: „Wenn ihr
nun mit Christus den Mächten der Welt gestorben seid, was macht ihr dann Satzun-
gen, als lebtet ihr noch in der Welt: Du sollst das nicht anfassen, du sollst das nicht
kosten, du sollst das nicht anrühren? Das alles soll doch verbraucht und verzehrt wer-
den. Es sind Gebote und Lehren von Menschen, die einen Schein [128] von Weisheit
haben“ (Kol 2, 20–23). An Titus 1 (v. 14) [schreibt er]: „Richtet euren Sinn nicht auf
die jüdischen Fabeln und die Gebote von Menschen, die sich von der Wahrheit ab-
wenden.“
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[CR 408] Ebenso bilden sich die meisten Verfasser ein, im Neuen Bund müsse es einen Kult
ähnlich dem levitischen geben, dessen Anordnung Gott den Aposteln und Bischöfen übertragen
habe. Diese Autoren scheinen irregeleitet zu werden durch das Vorbild des mosaischen
Gesetzes, als bestehe die Gerechtigkeit des Neuen Bundes in der äußeren Beachtung bestimmter
Riten, so wie die Gerechtigkeit des Gesetzes eine äußere Beachtung bestimmter Riten war. Wie
es unter dem Gesetz Sünde war, Schweinefleisch zu essen usw., so machen sie im Neuen Bund
die Sünde fest bei Speisen, bei Tagen, bei Kleidung und ähnlichen Dingen. Und sie meinen, ohne
diese Dinge könne die Gerechtigkeit des Neuen Bundes nicht bestehen. Von daher kommen jene
Lasten, daß bestimmte Speisen das Gewissen beflecken würden, daß es eine Todsünde sei,
kirchengesetzlich verordnete Stunden zu versäumen, daß das Fasten die Vergebung der Sünden
verdiene und notwendig sei zur Gerechtigkeit des Neuen Bundes, daß eine Sünde, die einen Vor-
behaltsfall betrifft, nicht vergeben werden könne, außer wenn die Autorität des Vorbehaltenden
tätig würde, obwohl doch die Kirchengesetze selbst nur von einem Vorbehalt der kirchlichen
Strafe sprechen, nicht vom Vorbehalt der Schuld.
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als Last für die Gewissen aufzuerlegen? Es gibt
Christus spricht Mt 15 (v. 14) von denen, die die Überlieferungen fordern: „Laßt sie,
sie sind blinde Blindenführer.“ Und er mißbilligt solche Kulte: „Alle Pflanzen, die
mein Vater nicht gepflanzt hat, die werden ausgerissen“ (Mt 15, 13).
Wenn die Bischöfe das Recht haben, mit solchen Überlieferungen die Gewissen zu
beschweren, warum verbietet [dann] die Schrift so oft, Überlieferungen einzusetzen?
Warum nennt sie sie „Lehren von Dämonen“ (1. Tim 4, 1)? Hat denn der heilige
Geist dies umsonst vorweg gemahnt?
Es bleibt also dabei: Weil Ordnungen, die als notwendig und in der Meinung, die
Rechtfertigung zu verdienen, eingesetzt wurden, dem Evangelium widerstreiten, darf
es den Bischöfen nicht gestattet sein, solche Kulte einzusetzen oder als notwendig zu
erzwingen. Denn in den Kirchen muß die Lehre von der christlichen Freiheit erhalten
bleiben, [die besagt,] daß zur Rechtfertigung nicht die Knechtschaft des Gesetzes