Die Bekenntnisschriften - page 79

Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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sünde sei die Begierde. Deshalb durfte dies bei der Definition nicht übergangen wer-
den, zumal heute, wo manche darüber wenig gottesfürchtig philosophieren.
Denn einige von ihnen behaupten, die Erbsünde sei nicht ein Fehler oder eine Ver-
derbtheit in der Natur des Menschen, sondern die Last oder Verfaßtheit der Sterblich-
keit, die alle, die von Adam abstammen, ohne eigene Verfehlung aufgrund der frem-
den Schuld tragen müssen
.
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Sie fügen noch hinzu, daß niemand um der Erbsünde
willen zum ewigen Tode verdammt werde: so wie von einer Sklavin Sklaven ab-
stammen und diese Verfaßtheit ohne Fehler der Natur, nur wegen des Unglücks [148]
der Mutter übernehmen. Wir haben, um zu zeigen, wie sehr uns diese gottlose Mei-
nung mißfällt, die Begierde erwähnt. In bester Absicht haben wir die Krankheiten
[der menschlichen Natur] genannt und dargelegt, daß die Natur der Menschen ver-
dorben und fehlerhaft geboren wird.
[Definition der Erbsünde: Fehlen von Gottesfurcht und Gottvertrauen]
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Wir haben sie aber nicht nur eine Begierde genannt, sondern auch gesagt, daß Gottes-
furcht und Glaube fehlen. Das haben wir deshalb hinzugefügt: Auch die scholasti-
schen Lehrer
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verharmlosen die Erbsünde, weil sie die Definition der Erbsünde, die
sie von den Kirchenvätern übernommen haben, ungenügend verstehen. Sie reden vom
„Zunder
14
. Er sei eine Beschaffenheit des Körpers. Und albern, wie sie sind, fragen
sie: Ob es zu dieser Schwäche durch die Vergiftung des Apfels oder durch die An-
hauchung der Schlange gekommen sei? Ob sie durch Heilmittel noch verschlimmert
würde? Durch Fragen solcher Art haben sie das Hauptproblem verdeckt. Wenn sie
von der Erbsünde reden, erwähnen sie daher gar nicht die schwereren Fehler der
menschlichen Natur, nämlich Unkenntnis Gottes, Verachtung Gottes, Fehlen [149]
der Gottesfurcht und des Gottvertrauens, Gottes Gericht hassen, vor dem richtenden
Gott fliehen, Gott zürnen, an der Gnade verzweifeln, Vertrauen auf gegenwärtige
Dinge usw. Diese Seuchen, die dem Gesetz Gottes aufs heftigste entgegenwirken,
haben die Scholastiker überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Ja im Gegenteil, sie
gestehen der menschlichen Natur bisweilen sogar unbeeinträchtigte Kräfte zu, [näm-
lich] Gott über alles zu lieben und seine Gebote zu erfüllen, und dies sogar im Hin-
blick auf das innerste Wesen der Handlungen. Sie sehen dabei nicht, daß sie Wider-
sprüchliches vertreten. Denn: Gott aus eigenen Kräften über alles lieben zu können
und seine Gebote zu erfüllen – was ist das anderes als die ursprüngliche Gerechtig-
keit zu haben? Wenn aber die menschliche Natur derart große Kräfte besitzt, daß sie
aus sich selbst heraus Gott über alle Dinge lieben kann (wie dies die Scholastiker
zuversichtlich behaupten) – worin soll dann noch die „Erbsünde“ bestehen? Wozu
12 So Zwingli in seinem Bekenntnis für den Augsburger Reichstag, der „Fidei ratio ad Carolum imperatorem“ von
1530.
13 Vertreter der Schultheologie des Mittelalters (Scholastik).
14 Gemeint ist ein nach der Taufe zurückbleibender Rest der Erbsünde: das der Vernunft widerstreitende, zum
Bösen neigende, das Gute erschwerende Begehren der Sinnlichkeit, das nicht schon als solches „Sünde“ sei,
sondern (wie der durch einen Funken entflammte Zunder) erst durch die Einwilligung der Vernunft zur „wirkli-
chen Sünde“ werde.
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