Das Augsburger Bekenntnis
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das doch in etwas Möglichem bestehen muß, weil es freiwillig, von selbst und mit
Absicht geleistet sein muß? Wie aber in der Macht des Menschen beständige Keusch-
heit stehen soll, das weiß man wohl. Und wieviele gibt es, die freiwillig und [115]
wohlüberlegt das Gelübde leisten? Mädchen und Knaben werden, bevor sie es be-
urteilen können, zum Gelübde überredet, ja bisweilen sogar gezwungen. Daher ist es
unbillig, so hart über die Verbindlichkeit zu disputieren, obwohl doch alle zugeben,
es sei gegen das Wesen des Gelübdes, was nicht freiwillig, nicht wohlüberlegt
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versprochen wird.
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zugelassen
Die meisten Kirchengesetze heben die vor dem 15. Lebensjahr geleisteten Gelübde
auf, weil vor diesem Alter nicht so viel Urteilsvermögen zu bestehen scheint, daß
etwas für die Dauer des Lebens festgesetzt werden kann. Ein anderes Kirchengesetz,
das der Schwachheit der Menschen mehr einräumt, fügt einige Jahre hinzu. Es ver-
bietet nämlich, vor dem 18. Lebensjahr das Gelübde zu leisten
Aber folgen wir
dem? Der größte Teil hat als Entschuldigung, weshalb sie die Klöster verlassen, [die
Tatsache,] daß die meisten vor diesem Alter das Gelübde geleistet haben.
Schließlich: Obwohl die Verletzung eines Gelübdes getadelt werden könnte,
scheint daraus doch nicht sogleich zu folgen, daß die Ehen solcher Personen zu tren-
nen seien. Denn Augustinus bestreitet, daß sie geschieden werden müssen
Seine
Autorität ist von nicht geringem Gewicht, auch wenn andere danach anders geurteilt
haben.
[
3
Die jetzigen Mönchsgelübde widerstreiten der Glaubensgerechtigkeit] Obwohl
aber das Gebot Gottes über die Ehe die meisten von den Gelübden zu befreien
scheint, nennen die Unsrigen doch auch noch einen anderen Grund, weshalb die Ge-
lübde ungültig seien: weil jede Gottesverehrung, die von Menschen ohne Gottes Ge-
bot eingesetzt und erwählt wurde, um Rechtfertigung und [116] Gnade zu verdienen,
gottlos ist. Denn so sagt Christus: „Vergeblich verehren sie mich mit Geboten von
Menschen“ (Mt 15, 9). Und Paulus lehrt überall, daß die Gerechtigkeit nicht durch
unsere kultischen Vorschriften und Gebräuche, die von Menschen erdacht wurden, zu
erstreben sei, sondern daß sie durch den Glauben denen zuteil wird, die glauben, daß
sie von Gott in die Gnade aufgenommen sind um Christi willen
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.
Es steht aber fest, daß die Mönche gelehrt haben, die Befolgung mönchischer Re-
geln würde Genugtuung für die Sünden bewirken, Gnade und Gerechtigkeit verdie-
nen. Was ist das anderes, als den Ruhm Christi zu mindern und zu verdunkeln sowie
die Glaubensgerechtigkeit zu leugnen? Daraus folgt also, daß die üblichen Gelübde
gottlose Kulte gewesen sind. Deshalb sind sie ungültig. Denn ein Gelübde, das gott-
127 Beide Angaben finden sich in Texten des Decretum Gratiani.
128 Eine Stellenangabe im Text bezieht sich auf ein Augustinzitat im Decretum Gratiani.