Das Augsburger Bekenntnis
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Gehorsam aufheben, nicht Entscheidungen über weltliche Ordnungen oder Verträge
verhindern, nicht den Regierungen Gesetze über die Form der Staatsverfassung vor-
schreiben – so wie Christus sagt: [123] „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh
18, 36). Ebenso: „Wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch ge-
setzt?“ (Lk 12, 14). Und Paulus sagt Phil 3 (v. 20): „Unser Bürgerrecht ist im Him-
mel.“ 2. Kor 10 (v. 4): „Die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern
mächtig im Dienste Gottes, Absichten zu zerstören“ usw.
Auf diese Weise unterscheiden die Unsrigen die Obliegenheiten beider Vollmach-
ten, und sie gebieten, beiden Ehre zu erweisen und anzuerkennen, daß beide Gottes
Gabe und Wohltat sind.
Wenn Bischöfe eine Schwertgewalt haben, so haben sie diese nicht als Bischöfe
durch einen Auftrag des Evangeliums, sondern nach menschlichem Recht, verliehen
von Königen und Kaisern zur weltlichen Verwaltung ihrer Güter. Das ist indessen
eine andere Funktion als der Dienst des Evangeliums.
Wenn also nach der Jurisdiktion der Bischöfe gefragt wird, muß unterschieden wer-
den die Herrschaft von der kirchlichen Jurisdiktion. Sodann: [124] Gemäß dem Evan-
gelium oder, wie man sagt, nach göttlichem Recht steht diese Jurisdiktion den Bischö-
fen als Bischöfen zu, das heißt denjenigen, denen der Dienst des Wortes und der Sa-
kramente anvertraut ist: Sünden zu vergeben, dem Evangelium widersprechende Leh-
re zu verwerfen und Gottlose, deren Gottlosigkeit bekannt ist, auszuschließen aus der
Gemeinschaft der Kirche – ohne menschliche Gewalt, sondern durch das Wort.
Hier müssen ihnen notwendig und nach göttlichem Recht die Kirchen Gehorsam leis-
ten, gemäß jenem Wort: „Wer euch hört, hört mich“ (Lk 10, 16).
Aber wenn sie etwas gegen das Evangelium lehren oder festsetzen, dann haben die
Kirchen das Gebot Gottes, das zu gehorchen verbietet. Mt 7 (v. 15): „Hütet euch vor
den falschen Propheten“; Gal 1 (v. 8): „Wenn ein Engel vom Himmel ein anderes
Evangelium predigen würde, der sei verflucht“; 2. Kor 13 (v. 8): „Wir können nichts
wider die Wahrheit, sondern für die Wahrheit“; ebenso: „Uns ist Vollmacht gegeben
zu erbauen, nicht zu zerstören“ (2. Kor 13, 10). So gebieten es auch die Kirchenge-
setze
Und Augustinus sagt gegen den Brief des Petilian: „Auch katholischen Bi-
schöfen ist nicht zuzustimmen, wenn sie sich irgendwo irren oder etwas gegen [125]
die kanonischen Schriften Gottes bestimmen.“
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Bischöfe haben keine Vollmacht, dem Evangelium zuwider Kultgesetze zur Heils-
bedingung zu machen] Wenn sie irgendeine andere Vollmacht oder Jurisdiktion zur
Entscheidung bestimmter Fälle haben, nämlich der Ehe oder des Zehnten
usw., so
haben sie diese nach menschlichem Recht. Falls die zuständigen Bischöfe hierin säu-
mig sind, sind die Fürsten genötigt, auch wenn sie es ungern tun, um der Wahrung
des öffentlichen Friedens willen den Untertanen Recht zu sprechen.
136 Lateinischer Wortlaut: „sine vi humana, sed verbo“.
137 Es folgen Stellenangaben aus dem Decretum Gratiani (Kirchenrechtssammlung des 12. Jahrhunderts).
138 Augustinus, Von der Einheit der Kirche, Kap. 11.
139 Pflichtmäßige Abgaben an die Kirche: ein Zehntel vom Ertrag.