Das Augsburger Bekenntnis
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Päpst
, auf die Schlüsselgewal
bauend, nicht nur neue Kulte einrichteten, mit
vorbehaltenen Fälle
, mit gewaltsamen Exkommunikationen die Gewissen be-
schwerten, sondern auch versuchten, weltliche Reiche zu vergeben und Kaisern die
Herrschaft zu nehmen. Diese Verfehlungen haben vor langem in der Kirche fromme
und gelehrte Menschen getadelt. Daher [121] sind auch die Unsrigen genötigt, zur
Unterrichtung der Gewissen den Unterschied zwischen kirchlicher Vollmacht und
Schwertgewalt zu zeigen. Und sie haben gelehrt, daß beiden aufgrund des Gebotes
Gottes fromme Achtung und Ehre zu erweisen sei, da es sich um sehr große Wohlta-
ten Gottes auf Erden handelt.
Sie denken aber so: Die Schlüsselgewalt oder Vollmacht der Bischöfe ist nach dem
Evangelium die Vollmacht oder das Gebot Gottes, Sünden zu vergeben und zu behal-
ten und die Sakramente zu verwalten. Denn Christus sendet die Apostel mit diesem
Gebot: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nehmt hin den heiligen
Geist. Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie
behaltet, denen sind sie behalten“ (Joh 20, 21–23). Und Mk 16 (v. 15): „Geht hin,
predigt das Evangelium aller Kreatur“ usw.
Diese Vollmacht wird ausgeübt nur durch das Lehren oder Predigen des Evange-
liums und durch das Austeilen der Sakramente, sei es vielen oder einzelnen, gemäß
der Berufung. Denn übergeben werden nicht leibliche, sondern ewige Dinge, [122]
ewige Gerechtigkeit, der Heilige Geist, das ewige Leben. Dies kann nur geschehen
durch den Dienst des Wortes und der Sakramente, wie Paulus sagt: „Das Evangelium
ist Gottes Kraft zum Heil für jeden, der glaubt“ (Röm 1, 16).
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Und Ps 119 (v. 50):
„Dein Wort macht mich lebendig.“
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Weil daher die kirchliche Vollmacht ewige Din-
ge bringt und nur durch den Dienst des Wortes ausgeübt wird, hindert sie nicht die
politische Amtsführung, so wie die Kunst des Singens in keiner Weise die politische
Amtsführung hindert. Denn die politische Amtsführung hat es mit anderen Dingen als
dem Evangelium zu tun. Eine Regierung schützt nicht den Geist [der Menschen],
sondern Leiber und leibliche Dinge gegen offenkundige Unrechtstaten und hält die
Menschen durch das Schwert und durch leibliche Strafen in Schranken. Das Evange-
lium schützt den Geist der Menschen gegen gottlose Meinungen, gegen den Teufel
und den ewigen Tod.
Av
übernimmt den Text des Artikels von
A
mit gelegentlichen Änderungen.
a…aa
[Zitat gestrichen]
Nicht also dürfen vermischt werden die kirchliche und die weltliche Macht. Die
kirchliche hat als ihren Auftrag das Lehren des Evangeliums und das Austeilen der
Sakramente. Sie soll nicht in ein fremdes Amt eindringen, nicht weltliche Reiche
vergeben, nicht Gesetze von Regierungen ungültig machen, nicht den rechtmäßigen
133 Deutscher Text: Bischöfe.
134 Die Vollmacht des Bindens und Lösens (nach Mt 16, 19); siehe den weiteren Text. Eine Vorarbeit zu diesem
Artikel trug die Überschrift: „Vom Vermögen [= der Macht] der Schlüssel“.
135 Dem Papst vorbehaltene Fälle für die Erteilung von Absolution.