Die Bekenntnisschriften - page 65

Das Augsburger Bekenntnis
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Außerdem werden die Gebote Gottes und der wahre Gottesdienst verdunkelt, wenn
die Leute hören, allein die Mönche befänden sich im Stande der Vollkommenheit.
Denn die christliche Vollkommenheit besteht darin, mit Ernst Gott zu fürchten und
wiederum große Zuversicht zu fassen und um Christi willen darauf zu vertrauen, daß
wir einen versöhnten Gott haben, von Gott Hilfe zu erbitten und mit Gewißheit zu
erwarten in allen Dingen, die dem Beruf gemäß zu tun sind, dabei nach außen mit
Sorgfalt gute Werke zu tun und im Beruf zu dienen. In diesen Dingen besteht die
wahre Vollkommenheit und [118] der wahre Gottesdienst. Sie besteht nicht im Zöli-
bat oder in Bettelei oder häßlicher Kleidung. Daher hat das Volk viele verderbliche
Vorstellungen aus jenen falschen Anpreisungen des mönchischen Lebens empfangen.
Es hört, daß das Zölibat maßlos gepriesen wird – deshalb befindet es sich mit Gewis-
sensanfechtung im ehelichen Stand. Es hört, daß allein die Bettler vollkommen sind –
deshalb hält es mit Gewissensanfechtung am Besitz fest; mit Gewissensanfechtung
betreibt es Geschäfte. Es hört, es sei [nur] ein evangelischer Rat, auf Rache zu ver-
zichten – daher scheuen sich andere im privaten Leben nicht, Rache zu üben; denn sie
hören, Rache werde [nur] durch einen Rat, nicht durch ein Gebot gehindert. Wieder
andere irren noch mehr, die alle Regierungen, alle bürgerlichen Pflichten als für
Christen unwürdig und dem evangelischen Rat widerstreitend beurteilen.
Man liest Beispiele von Menschen, die sich nach Verlassen des Ehestandes und ei-
nes öffentlichen Amtes in Klöster zurückgezogen haben. Das nannten sie, die Welt zu
fliehen und eine heilige Lebensform zu suchen. Sie sahen aber nicht, daß man Gott
dienen muß in denjenigen Geboten, die er selbst gegeben hat, nicht in Geboten, die
von Menschen erdacht sind. Gut und vollkommen ist eine Lebensform, die Gottes
Gebot für sich hat. Über diese Dinge ist es nötig, die Leute zu unterrichten.
Es hat auch vor diesen Zeiten Gerson
130
den Irrtum der Mönche über die Vollkom-
menheit zurückgewiesen und bezeugt, daß zu seiner Zeit [119] diese Redeweise, daß
das mönchische Leben der Stand der Vollkommenheit sei, neu gewesen sei.
So viele gottlose Meinungen hängen an den Mönchsgelübden: Sie würden rechtfer-
tigen, sie seien die christliche Vollkommenheit, die Mönche würden die Räte und
Gebote erfüllen, sie hätten über die Pflicht hinausgehende Werke. Dies alles macht,
da es falsch und nichtig ist, die Gelübde ungültig.
[120]
28. Von der kirchlichen Amtsvollmach
131
[
1
Geistliche und weltliche Macht sind sorgfältig zu unterscheiden] Große Auseinan-
dersetzungen gab es einst über die Vollmacht der Bischöfe
.
Dabei haben manche
unangemessen die kirchliche Vollmacht und die Schwertgewal
t
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miteinander ver-
mengt. Und aus dieser Vermischung entstanden große Kriege, große Unruhen, als die
130 Johannes Gerson († 1429), namhafter Befürworter einer Kirchenreform.
131 Deutsche Überschrift: „Von der Bischöfe Gewalt“.
132 Traditionelle Bezeichnung für die weltliche, staatliche Macht.
1...,55,56,57,58,59,60,61,62,63,64 66,67,68,69,70,71,72,73,74,75,...549
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