Die Bekenntnisschriften - page 59

Das Augsburger Bekenntnis
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n.
beibehalten. Und das Volk liebt diese Zeremonien noch mehr, seitdem die Gewissen von der
Gefahr und jenen ungerechten Lasten befreit sind, über die sich einst die Mönche und
Kirchenrechtslehrer laut verbreitet haben, und im Gegensatz dazu der Nutzen aufgezeigt wurde,
daß diese Riten dem Dienst am Evangelium zugute kommen. Ebenso wurden die Menschen
daran erinnert, daß diese Ordnungen einen politische
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Zweck haben. Diese richtige Erklä-
rung der Überlieferungen hat sie den besonnen denkenden Menschen willkommener gemacht.
Und obwohl der Gedanke der Heilsnotwendigkeit und des Gottesdienstes entfallen ist, sind sie
doch genügend gefestigt. Denn wir lehren in den Kirchen, die reformiert wurden, daß die nütz-
lichen Zeremonien dem Dienst am Evangelium zugute kommen. Daher sagen wir, daß diejeni-
gen, die mutwillig und mit Ärgernis diese Zeremonien entweihen, das heißt, die den Dienst am
Evangelium behindern, Sünde tun. Sicher muß es eine Art von Überlieferungen geben, und den
Gewissen muß Rat gegeben werden, damit sie verstehen, daß menschliche Riten weder heils-
notwendig sind noch die Gerechtigkeit darstellen.
Diese Freiheit, von der wir hier reden, war den Vätern nicht unbekannt. Denn Augustin sagt:
„Alle diese Dinge haben eine freie Art der Befolgung“,
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und vieles erörtert er in diesem Sinne.
Irenäus sagt: „Ein Unterschied beim Fasten hebt nicht den Einklang des Glaubens auf.“
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Die
Historia Tripartita bringt viele Beispiele unterschiedlicher Bräuche und fügt den trefflichen
Ausspruch hinzu: „Es war nicht die Absicht der Apostel, Festlegungen über Feiertage zu treffen,
sondern einen guten Wandel und Frömmigkeit zu predigen.
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Doch es ist unnötig, bei einer kla-
ren Sache viele Zeugnisse beizubringe
[
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Gute leibliche Zucht] Hier wenden die Gegner ein, daß die Unseren die Zucht und
Abtötung des Fleisches verhindern so wie Jovinianus
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. Aber man wird anderes aus
den Schriften der Unseren entnehmen. Immer nämlich haben sie vom Kreuz gelehrt,
daß die Christen Anfechtungen erdulden müssen. Das ist die wahre, ernsthafte und
nicht erheuchelte Abtötung: durch mancherlei Anfechtungen erprobt und gekreuzigt
zu werden mit Christus.
Darüber hinaus lehren sie, jeder Christ solle sich in leiblicher Zucht oder [106] leib-
lichen Übungen so üben und in Zucht nehmen, daß [ihn] nicht Sattheit und Mü-
ßiggang zum Sündigen treiben – doch ohne daß wir durch jene Übungen Vergebung
der Sünden verdienen oder Genugtuung leisten würden. Auch muß man diese leibli-
che Zucht ständig betreiben, nicht nur an wenigen und festgesetzten Tagen, wie
Christus gebietet: „Hütet euch, daß eure Herzen nicht durch Völlerei beschwert wer-
den“ (Lk 21, 34). Desgleichen: Diese Art von Dämonen wird nicht ausgetrieben „au-
ßer durch Fasten und Gebet“ (Mk 9, 29). Und Paulus sagt: „Ich züchtige meinen Leib
und mache ihn mir dienstbar“ (1. Kor 9, 27). Da zeigt er klar, daß er nicht deshalb den
Leib in Zucht nimmt, um durch diese Übung die Vergebung der Sünden zu verdienen,
sondern um den Leib gefügig zu haben und tauglich zu geistlichen Dingen und um
den Dienst gemäß der eigenen Berufung zu versehen. Daher werden nicht die Fastta-
ge selbst verdammt, sondern Traditionen, die bestimmte Tage, bestimmte Speisen
vorschreiben unter Bedrohung des Gewissens, als wären Werke dieser Art ein not-
wendiger Gottesdienst.
112 Politisch: das Gemeinwesen, die Gesellschaft betreffend.
113 Augustinus († 430), Brief 54, Kap. 2, an Januarius.
114 Irenäus, Bischof von Lyon († um 200), zitiert bei Euseb von Cäsarea, Kirchengeschichte, Buch 5, Kap. 24.
115 Cassiodor († nach 580), Historia ecclesiastica tripartita, Buch 9, Kap. 38.
116 Altkirchlicher Asket († vor 406), der die Verdienstlichkeit des mönchischen Lebens bestritt und deshalb im oben
genannten Sinne der Irrlehre beschuldigt wurde.
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