Die Bekenntnisschriften - page 78

Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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[Art. II:] Von der Erbsünde
[Radikalität der Erbsünde]
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Den zweiten Artikel „Von der Erbsünde“ billigen die Gegner, aber so, daß sie
gleichwohl unsere Definition der Erbsünde, die wir dabei vorgetragen haben, zurück-
weisen. Hier, sogleich am Eingang, wird die Kaiserliche Majestät erkennen, daß es
denen, die die Konfutation verfaßt haben, nicht nur an Urteilskraft, sondern auch an
Lauterkeit gefehlt hat. [146] Denn während wir unbefangen und beiläufig aufzählen
wollten, was zur Erbsünde gehört, verdrehen sie künstlich durch eine zugespitzte
Deutung den Sinn des Satzes, der doch an sich nichts Ungereimtes enthält. Sie sagen
so: Ohne Gottesfurcht und ohne Glauben [CR 422] zu sein, sei eine „Tatschuld“; sie
bestreiten also, daß es sich hierbei um die „Erbschuld“ handelt.
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Daß diese Spitzfindigkeiten ihren Ursprung in den Schulen und nicht im Rat des
Kaisers haben, ist offensichtlich. Nun kann zwar diese Spitzfindigkeit leicht wider-
legt werden. Doch damit alle rechtschaffenen Menschen erkennen, daß wir nichts
Unsinniges in dieser Sache lehren, bitten wir zunächst darum, daß man sich den deut-
schen Text des Bekenntnisses ansehen möge. Das wird uns vom Verdacht der Neue-
rung befreien. Dort nämlich heißt es: „Weiter wird gelehrt, daß nach dem Fall Adams
alle Menschen, die natürlich geboren werden, in Sünden empfangen und geboren
werden, daß sie alle vom Mutterleib an voll böser Lust und Neigung sind, keine wah-
re Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott von Natur [aus] haben können.
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Diese Stelle bezeugt, daß wir nicht nur Handlungen, sondern auch das Vermögen
oder die Gaben zum Bewirken von Furcht und Vertrauen gegenüber Gott denen ab-
sprechen, die nach der fleischlichen Natur geboren worden sind. Wir sagen nämlich,
daß alle so Geborenen die „Begierde“ haben und daß sie deshalb wahre Furcht und
Vertrauen gegenüber Gott nicht aufbringen können. Was ist hier zu tadeln? Für treff-
liche Leute glauben wir freilich hinreichend gerechtfertigt zu sein. Denn in diesem
Sinne spricht [auch] die lateinische Fassung der Natur die Fähigkeit ab. Das heißt, sie
spricht ihr die Gaben und das Vermögen ab, Furcht und Vertrauen gegenüber Gott
aufzubringen, bei den Erwachsenen auch solche Handlungen. Wie wir, wenn wir von
der Begierde sprechen, [CR 423] nicht nur Handlungen oder Früchte meinen, sondern
die fortwährende Neigung der Natur.
[Schuldcharakter der Erbsünde]
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[147] Wir werden aber später noch ausführlicher zeigen, daß unsere Auslegung mit
der gebräuchlichen und althergebrachten Definition übereinstimmt. Zuvor nämlich
muß gezeigt werden, aus welchem Grund wir an dieser Stelle diese Worte gewählt
haben. Die Gegner behaupten in ihren Schulen, der „Stoff“ (wie sie sagen) der Erb-
10 Nach scholastischer Auffassung ist erst der mit Zustimmung des Willens vollzogene sündhafte Akt im eigentli-
chen Sinne als Sünde und somit als schuldhaft zu betrachten.
11 Deutscher Text des Augsburger Bekenntnisses, Art. 2.
1...,68,69,70,71,72,73,74,75,76,77 79,80,81,82,83,84,85,86,87,88,...549
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