Die Bekenntnisschriften - page 62

Das Augsburger Bekenntnis
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sondern auch die evangelischen Ratschläg
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befolge. So verbreiteten sie die Über-
zeugung, daß das mönchische Gelübde weit besser sei als die Taufe, daß das mönchi-
sche Leben verdienstlicher sei als das Leben der Amtsleute, Pastoren und anderer, die
ohne besondere religiöse Verrichtungen in Gottes Geboten ihrem Beruf dienen. Nichts
von diesen Dingen kann geleugnet werden, denn sie liegen vor in ihren Büchern.
Was geschah danach in den Klöstern? Einst waren sie Schulen der heiligen Schrif-
ten und anderer Wissenschaften, die der Kirche nützlich sind, und von dort wurden
die Pastoren und Bischöfe genommen. Jetzt liegt die Sache anders; es ist gar nicht
nötig, Bekanntes zu wiederholen. Einst kamen sie zum Lernen zusammen; jetzt [113]
geben sie vor, es sei eingesetzt als Lebensform zum Verdienen von Gnade und Ge-
rechtigkeit. Ja sie predigen sogar, es sei der Stand der Vollkommenheit, und sie zie-
hen ihn allen anderen, von Gott geordneten Lebensarten bei weitem vor. Das haben
wir deshalb vorgetragen, ohne etwas gehässig hervorzuheben, damit die Lehre der
Unsrigen über diese Sache besser verstanden werden kann.
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Grenzen der Verbindlichkeit von Gelübden] Erstens lehren sie über diejenigen, die
Ehen schließen, in dem Sinne, daß es allen, die nicht zum Zölibat geeignet sind, er-
laubt ist, eine Ehe zu schließen, weil die Gelübde nicht die Ordnung und das Gebot
Gottes aufheben können. Es gibt aber dieses Gebot Gottes: „Wegen der Unzucht habe
jeder seine eigene Frau“ (1. Kor 7, 2). Und nicht nur das Gebot, sondern auch die
Schöpfung und Ordnung Gottes nötigt diejenigen zur Ehe, die ohne eine besondere
[114] Wirkung Gottes nicht davon ausgenommen sind, jenem Wort gemäß: „Es ist
nicht gut, daß der Mensch allein sei“ (1. Mose 2, 18). Also sündigen diejenigen nicht,
die diesem Gebot und der Ordnung Gottes gehorchen.
Was kann dagegen eingewandt werden? Es mag jemand die Verbindlichkeit des
Gelübdes betonen, soviel er will, er wird dennoch nicht bewirken können, daß ein
Gelübde das Gebot Gottes aufhebt. Die Kirchengesetze betonen, daß bei jedem Ge-
lübde das Recht des Übergeordneten ausgenommen werden muß. Daher gelten diese
Gelübde in viel geringerem Maße als die Gebote Gottes.
Wenn aber die Verbindlichkeit der Gelübde keine Gründe bieten würde, sie zu ver-
ändern, dann würden auch die Päpste keine Dispense aussprechen. Es ist nämlich
keinem Menschen erlaubt, eine Verbindlichkeit, die schlechthin göttlichen Rechts ist,
aufzuheben. Die römischen Päpste aber haben verständig geurteilt, daß bei dieser
Verbindlichkeit der Grundsatz der Billigkeit anzuwenden sei. Daher liest man, daß sie
oft von Gelübden dispensiert haben. Bekannt ist nämlich die Geschichte von einem
König der Aragonesen, der aus dem Kloster zurückgerufen wurde
.
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Es fehlt auch
nicht an Beispielen aus unserer Zeit.
Sodann: Warum betonen unsere Gegner die Verbindlichkeit oder die Wirksamkeit
des Gelübdes, während sie zugleich über das Wesen des Gelübdes selbst schweigen,
125 Auf „evangelische Räte“, d. h. Jesusworte wie Mt 19, 12.21, beziehen sich die Mönchsgelübde Armut, Ehe-
losigkeit und Gehorsam.
126 Ramiro II. († 1137), ursprünglich Mönch, wurde nach dem Tod seines kinderlosen Bruders (1134) von den
Gelübden entbunden.
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