Die Schmalkaldischen Artikel
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direkt gegen mich anzuführen
Sie lassen mich zuhören und zusehen, obgleich sie
sicher wissen, daß ich anders lehre. Sie wollen ihre vergiftende Lehre mit meiner
Arbeit bemänteln und die armen Leute unter meinem Namen verführen. Was wird da
erst nach meinem Tod werden?
Ja, sollte ich nicht vernünftigerweise alles beantworten, solange ich noch lebe? Ja,
andererseits, wie kann ich allein alle Mäuler des Teufels stopfen, besonders denen,
die – weil sie alle vergiftet sind – nicht hören noch merken wollen, was wir schreiben,
sondern sich nur mit allem Fleiß anstrengen, wie sie unsere Worte in allen
Buchstaben aufs schändlichste verkehren und verderben können? Solchen lasse ich
den Teufel antworten oder zuletzt den Zorn Gottes, wie sie es verdienen. Ich denke
oft an den guten Gerso
, der Zweifel hatte, ob man etwas Gutes für die Öffentlichkeit
schreiben sollte: „Tut man es nicht, werden viele Seelen vernachlässigt, die man erretten
könnte. Tut man es aber, so ist der Teufel mit unzähligen giftigen, bösen Mäulern da,
die alles vergiften und verkehren, so daß die Frucht schließlich verhindert wird.
Doch
was sie daran gewinnen, sieht man deutlich. Denn obwohl sie so schändlich wider uns
gelogen und die Leute mit Lügen bei ihrer Partei haben halten wollen, hat Gott sein
Werk immerfort getrieben, ihre Zahl immer kleiner und unsere größer gemacht und sie
mit ihren Lügen zuschanden werden lassen und tut es noch immerfort.
Ich muß eine Geschichte erzählen: Hier zu Wittenberg ist ein Doktor, ein Gesandter
Frankreich
, gewesen, der öffentlich vor uns sagte, sein König
sei gewiß und über-
gewiß, daß es bei uns keine Kirche, keine Obrigkeit und keinen Ehestand gibt,
sondern alles durcheinandergeht wie das Vieh und jedermann tut, was er will. Nun
stelle dir vor, wie uns diejenigen am Jüngsten Tag vor dem Richterstuhl Christi
ansehen werden, die diese groben Lügen durch ihre Schriften diesem König und
anderen Ländern als reine Wahrheit eingeredet haben? Christus, unser aller Herr und
Richter, weiß ja sicher, daß sie lügen und gelogen haben. Sie werden umgekehrt sein
Urteil hören müssen, das weiß ich fürwahr.
Gott bekehre, die zu bekehren sind, zur Buße, für die anderen wird es ewiglich Ach
und Weh heißen.
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Und damit ich wieder zur Sache komme: Ich möchte fürwahr sehr gern ein rechtes
Konzil sehen, damit vielen Sachen und Leuten geholfen würde. Das soll nicht heißen,
daß wir es brauchen. Denn unsere Kirchen sind nun durch Gottes Gnade mit dem
reinen Wort und rechten Gebrauch der Sakramente, mit dem rechten Wissen über alle
Stände und rechten Werken so erleuchtet und versehen, daß wir unserthalben nach
keinem Konzil fragen und in solchen Dingen von einem Konzil nichts Besseres zu
3 Seit 1537 gab es in Wittenberg eine anonyme Polemik gegen Luthers Lehre von Gesetz und Evangelium unter
Berufung auf die angeblich ursprüngliche, richtige, gesetzesfreie Evangeliumspredigt Luthers. Dahinter stand
unverkennbar Luthers Schüler, Freund und einstiger Kollege Johann Agricola, der nach seinem Wirken als
Schulrektor in Eisleben (1525–1537) nach Wittenberg zurückgekehrt war.
4 Johannes Gerson († 1429), seit 1395 Professor und Kanzler der Sorbonne in Paris, einflußreicher Theologe auf
dem Konstanzer Konzil (1414–1418).
5 Vgl. Gerson, Vom Lob der Schriftsteller, 11.
6 Gervasius Waim aus Memmingen, ein Schüler von Johann Eck, war von 1531 bis 1534 als französischer
Gesandter bei deutschen evangelischen Fürsten tätig und kam in dieser Funktion am 14. Juli 1531 nach Torgau.
7 Franz I., König von Frankreich 1515–1547.