Die Schmalkaldischen Artikel
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an und für sich etwas Nützliches und Gutes hätte. Wieviel mehr soll man sie fah-
renlassen, um solche Mißbräuche ewig zu verhüten, weil sie doch ganz unnötig,
nutzlos und gefährlich ist und man alles schneller, nützlicher und gewisser ohne
die Messe haben kann.
5. Wie der Meßkanon und alle Meßbücher besagen, ist und kann die Messe nichts
anderes sein als ein Werk der Menschen – auch böser Schurken – , mit dem einer
sich selbst und andere mit sich gegen Gott versöhnen, Vergebung der Sünden und
Gnade erwerben und verdienen will. Denn so wird sie gehalten, wenn sie aufs
allerbeste gehalten wird. Was sollte sie sonst? Darum soll und muß man sie
verdammen und verwerfen. Denn das ist direkt gegen den Hauptartikel, der da
besagt, daß nicht ein böser oder guter Meßdiener mit seinem Werk, sondern das
Lamm Gottes und der Sohn Gottes unsere Sünde trägt (Joh 1, 29).
Und wenn einer zu seiner Rechtfertigung vorgeben wollte, er wolle sich selbst
zur Erbauung mit dem Abendmahl versehen bzw. kommunizieren, ist das nicht
ernst. Denn wenn er mit Ernst kommunizieren will, hat er das gewiß und aufs
beste in dem Sakrament, das gemäß der Einsetzung Christi gereicht wird. Aber
sich selbst kommunizieren ist ein Menschenwahn, ungewiß und nicht notwendig,
außerdem verboten. Und er weiß auch nicht, was er tut, weil er ohne Gottes Wort
falschem Menschenwahn und -erfindung folgt. Daher ist es auch nicht recht –
selbst wenn alles übrige in Ordnung ist –, daß einer das gemeinsame Sakrament
der Kirche nach seiner persönlichen Meinung und damit ohne Gottes Wort außer-
halb der Kirchengemeinschaft nach seinem Gutdünken gebrauchen will.
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Dieser Artikel von der Messe wird der springende Punkt auf einem Konzil sein.
Denn wenn es möglich wäre, daß sie uns alle anderen Artikel einräumten, könnten sie
doch diesen Artikel nicht einräumen. So hat Campeggio
zu Augsburg gesagt, er
wolle sich eher in Stücke zerreißen lassen, ehe er die Messe wolle fahrenlassen. So
werde auch ich mich mit Gottes Hilfe eher auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen,
ehe ich einen Meßdiener mit seinem Werk – er sei gut oder böse – meinem Herrn und
Heiland Jesus Christus gleich oder höher sein lasse. Also sind und bleiben wir
ewiglich geschieden und gegeneinander. Sie spüren es gut: Wenn die Messe fällt,
liegt das Papsttum danieder. Ehe sie das geschehen lassen, töten sie uns alle, wenn sie
es vermögen.
Darüber hinaus hat dieser Drachenschwanz
, die Messe, viel Ungeziefer und
Geschmeiß von mancherlei Abgötterei hervorgebracht:
Erstens das Fegfeuer:
Da hat man mit Seelenmessen, Vigilien
dem Siebenten,
dem Dreißigsten und dem Jahresgedächtnis
zuletzt mit der gemeinen Woch
und
dem Allerseelenta
und dem Seelenbad
wegen des Fegfeuers gehandelt, so daß
15 Lorenzo Campeggio (1474–1539) war auf dem Augsburger Reichstag 1530 päpstlicher Legat.
16 Von Luther wiederholt verwendeter Ausdruck, der sich an Offb 12, 3 f. anlehnt.
17 Hier meint Luther wohl am Vortage einer Seelenmesse gefeierte Vigilien.
18 Messen für Verstorbene am 7. und 30. Tag nach dem Sterbetag und an dessen Jahrestag.
19 Die Woche nach dem Michaelisfest (29. September), in der zahlreiche Messen für Verstorbene gelesen wurden.
20 2. November.
21 Für Arme und Spitalbewohner gestiftete Bäder, um Tilgung von Sündenstrafen zu erlangen.