Die Bekenntnisschriften - page 257

Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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die in jenen Gemeinschaften leben, gezwungen werden, den Verfolgern der Wahrheit
beizupflichten. Es gibt also viele gewichtige und bedeutende Gründe, die treffliche
Männer von dieser Lebensform entbinden.
Schließlich entbinden die Kirchenrechtsbestimmungen selbst viele, die ihre Gelüb-
de entweder durch die Kunstgriffe der Mönche verleitet, [d. h.] ohne [eigenes] Urteil,
oder aber auf das Drängen von Freunden abgelegt haben. Solche Gelübde erklären
nicht einmal die Kirchenrechtsbestimmungen zu Gelübden. Aus all dem wird er-
sichtlich, daß es sehr viele Gründe gibt, die lehren, daß die Mönchsgelübde, wie sie
bislang geleistet wurden, keine Gelübde sind. Deshalb kann man diese Lebensform,
die voll von Heuchelei und falschen Lehren ist, getrost aufgeben.
[Die biblischen Lebensformen der Nasiräer (4. Mose 6), Rechabiten (Jer 35) und
Witwen (1. Tim 5) entsprechen nicht den Klostergelübden]
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Hier halten sie uns aus dem Gesetz die Nasiräer entgegen (4. Mose 6). Aber diese
nahmen ihre Gelübde nicht mit den Meinungen auf sich, die wir oben an den
Mönchsgelübden getadelt haben. [394] Der Ritus der Nasiräer war eine Übung oder
Bezeugung des Glaubens vor den Menschen
.
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Er verdiente nicht die Sündenverge-
bung vor Gott, rechtfertigte nicht vor Gott. Ferner: Wie jetzt die Beschneidung oder
die Schlachtung von Opfern kein Gottesdienst wäre, so darf jetzt auch der Nasiräerri-
tus nicht als ein Gottesdienst dargestellt werden, sondern er muß einfach als ein
„Mittelding“ beurteilt werden. Deshalb wird das Mönchtum, das ohne Gottes Wort als
ein Gottesdienst, der Sündenvergebung und Rechtfertigung verdienen soll, erdacht
wurde, zu Unrecht mit dem Ritus der Nasiräer verglichen, der Gottes Wort hatte, aber
nicht dazu bestimmt war, die Sündenvergebung zu verdienen, sondern wie andere
Zeremonien des Gesetzes eine äußerliche Übung sein sollte. Das gleiche kann man
auch von den übrigen im Gesetz überlieferten Gelübden sagen.
Auch die Rechabiten
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werden ins Feld geführt, [CR 639] die weder Besitztümer
hatten noch Wein tranken, wie Jeremia in Kapitel 35 schreibt (Jer 35, 6 f.). Das Bei-
spiel der Rechabiten paßt freilich schön zu unseren Mönchen, deren Klöster die Pa-
läste der Könige überbieten, die höchst üppig leben. Auch waren die Rechabiten trotz
jenes Mangels an allen Dingen gleichwohl Eheleute. Unsere Mönche geloben die
Keuschheit, während sie Überfluß an allem Ergötzen haben.
Im übrigen ist es geboten, Beispiele gemäß der Regel, d. h. nach gewissen und
deutlichen Schriftzeugnissen, und nicht gegen die Regel oder die Schrift auszulegen.
Es ist aber ganz gewiß, daß unsere Übungen nicht die Sündenvergebung oder die
Rechtfertigung verdienen. Wenn daher die Rechabiten gelobt werden, so setzt das
voraus, daß sie ihren Brauch nicht deshalb hielten, weil sie meinten, durch ihn die
Sündenvergebung zu verdienen oder daß ihr Werk selbst ein rechtfertigender Gottes-
225 Die altisraelitischen Nasiräer hatten sich Jahwe zu einem besonderen Dienst geweiht. Sie enthielten sich (für eine
bestimmte Zeit) aller berauschenden Getränke und schoren sich nicht das Haupthaar. Der bekannteste Vertreter
dieser Gruppierung war Simson.
226 Ein Nachbarvolk der Israeliten. Sie hielten streng an ihrer altertümlich-nomadischen Lebensweise fest.
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