Die Bekenntnisschriften - page 364

Der Große Katechismus
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durch Unrecht an sich zu bringen, worin kurz zusammengefaßt ist jeder Vorteil, der
zum Nachteil des Nächsten erreicht wird, in allerlei Geschäften. Das ist nun ein ver-
breitetes, allgemeines Laster, das aber so wenig wahrgenommen und beachtet wird,
daß es über alle Maßen schlimm ist. Wenn man alle an den Galgen hängen wollte, die
Diebe sind, aber nicht so heißen wollen, würde die Welt bald wüst werden und es
sowohl an Henkern wie an Galgen mangeln. Denn es soll (wie jetzt gesagt) nicht al-
lein das gestohlen genannt werden, was man aus Truhen und Taschen räumt, sondern
auch das Umsichgreifen auf dem Markt, in allen Kaufläden, Fleischerbuden, Wein-
und Bierkellern, Werkstätten und, kurz gesagt, wo immer man Geschäfte macht und
Geld für Ware oder Arbeit nimmt oder gibt. Wie zum Beispiel, um es für einfache
Leute etwas deutlicher zu erklären, damit man doch sieht, wie rechtschaffen wir sind:
Wenn ein Knecht oder eine Magd im Haus nicht treulich dient und Schaden anrichtet
oder geschehen läßt, den sie wohl verhindern könnte, oder sonst ihr [anvertrautes]
Gut verwahrlosen läßt oder vernachlässigt aus Faulheit, Trägheit oder Bosheit zum
Trotz und Verdruß von Herren und Frauen, wie so etwas absichtlich geschehen kann
(denn ich rede nicht von dem, das versehentlich und ohne Absicht getan wird): da
kannst du auch ein Jahr einen, dreißig, vierzig und mehr Gulden entwenden. Wenn das
ein anderer heimlich genommen oder gestohlen hätte, müßte er am Strick ersticken.
Aber hier darfst du noch trotzig auftrumpfen, und es wagt niemand, dich einen Dieb zu
nennen.
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Ebenso rede ich auch von Handwerksleuten, Arbeitern, Tagelöhnern, die ihre Willkür
üben und kaum wissen, wie sie noch die Leute übervorteilen sollen, und doch träge
und unzuverlässig in ihrer Arbeit sind. Diese alle sind weit schlimmer als die heimli-
chen Diebe, vor denen man sich mit Schloß und Riegel schützen kann oder, wo man
sie erwischt, mit ihnen so verfährt, daß sie es nicht mehr tun. Vor jenen aber kann
sich niemand hüten, und es darf sie auch niemand sauer ansehen oder irgendeines
Diebstahls beschuldigen, so daß einer zehnmal lieber etwas aus dem Geldbeutel ver-
lieren sollte. Denn es sind meine Nachbarn, gute Freunde, meine eigenen Dienstleute,
von denen ich Gutes erwarte, die mich zuallererst betrügen.
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So geht es auch auf dem Markt und bei gewöhnlichen Geschäften zu mit aller Macht
und Gewalt, wo einer den anderen öffentlich mit falscher Ware, falschem Maß, Ge-
wicht oder Münze betrügt und mit Betrug, schlauer List oder tückischen Kniffen
übervorteilt, ebenso beim Kauf übervorteilt und nach seiner Willkür beschwert,
schindet und plagt. Wer kann das alles erzählen oder ausdenken? Kurz gesagt, ist dies
das verbreitetste Handwerk und die größte Zunft auf Erden. Und wenn man die Welt
jetzt durch alle Stände ansieht, so ist sie nichts anderes als ein großer, geräumiger
Stall voll großer Diebe. Darum verdienen sie auch den Namen Wucherer, Land- und
Straßendiebe, nicht Einbrecher oder heimliche Diebe, die aus der Barschaft stehlen.
Denn sie sitzen auf ihrem Stuhl, man nennt sie große Junker und ehrsame, rechtschaf-
fene Bürger, die mit dem Schein des Rechts rauben und stehlen.
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Ja, hier müßte man von geringen, einzelnen Dieben schweigen, wenn man die großen,
gewaltigen Erzschurken angreifen wollte, mit denen Herren und Fürsten gemeinsame
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