Der Große Katechismus
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Ebenso ist es auch früher mit den Frauen zugegangen: Da kannten sie solche Kunst-
griffe, wenn einem eine andere gefallen hat, daß er es selbst oder durch andere (wie
denn manche Mittel und Wege denkbar waren) so einrichtete, daß ihr Mann ihr ge-
genüber unwillig wurde oder sie sich ihm verwehrte und sich so anstellte, daß er sich
von ihr trennen und sie diesem überlassen mußte. Solches hat ohne Zweifel unter dem
Gesetz
stark geherrscht, wie man auch im Evangelium liest von dem König Hero-
des, der die Frau seines eigenen Bruders noch während dessen Lebzeiten heiratete,
obwohl er doch ein ehrbarer, frommer Mann sein wollte, wie ihm auch Sankt Markus
bezeugt (vgl. Mk 6, 26). Aber ein solches Beispiel soll es bei uns nicht geben, hoffe
ich, weil es den Eheleuten im Neuen Testament verboten ist, sich voneinander zu
trennen (vgl. Mt 5, 32 u. ö.), es sei denn in einem solchen Fall, daß einer dem anderen
eine reiche Braut mit List wegnimmt. Aber das ist bei uns nicht selten, daß einer dem
anderen seinen Knecht oder die Dienstmagd ausspannt und entfremdet oder sonst mit
guten Worten abspenstig macht.
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Mag das alles geschehen, wie es will: Wir sollen wissen, daß Gott es nicht haben will,
daß du dem Nächsten etwas, das ihm gehört, so wegnimmst, daß er Entbehrung leidet
und du deine Habgier stillst – auch wenn du es vor der Welt ehrenhaft behalten
kannst. Denn es ist eine heimliche, tückische Bosheit und, wie man so sagt, „unter
dem Hütlein gespielt“, damit man es nicht merken soll. Denn wenn du auch hingehst,
als hättest du niemandem Unrecht getan, so bist du doch deinem Nächsten zu nahe
getreten. Und wenn man es auch nicht Stehlen und Betrügen nennt, so bedeutet es
doch, das Gut des Nächsten zu begehren, danach zu trachten und es ihm gegen seinen
Willen abspenstig gemacht zu haben und dem anderen nicht das zu gönnen, was ihm
Gott beschert hat. Und wenn es dir auch der Richter und jeder andere überlassen muß,
so wird es dir doch Gott nicht lassen: denn er sieht das böse Herz und die Tücke der
Welt gut. Wenn man ihr einen Finger breit einräumt, nimmt sie die Länge einer Elle
dazu, so daß auch öffentlich Unrecht und Gewalt folgen.
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Also halten wir dieses Gebot fest in dem allgemeinen Sinn, daß erstens geboten ist,
daß man nicht auf den Schaden des Nächsten aus sein soll, auch nicht dazu helfen
oder Anlaß geben soll, sondern ihm gönne und lasse, was er hat. Dazu soll man för-
dern und erhalten, was ihm zu Nutzen und Dienst geschehen mag, so wie wir wollten,
daß man es uns täte. Es ist also vor allem gegen die Mißgunst und den leidigen Geiz
gerichtet, damit Gott die Ursache und Wurzel aus dem Weg räumt, aus der alles ent-
springt, wodurch man dem Nächsten Schaden zufügt. Darum drückt er es auch deut-
lich mit den Worten aus: „Du sollst nicht begehren“ usw. Denn er will vor allem das
Herz rein haben, auch wenn wir das, solange wir hier leben, nicht erreichen können.
So bleibt dies ein Gebot wie die anderen alle, das uns unablässig beschuldigt und
zeigt, wie rechtschaffen wir vor Gott sind.
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So haben wir nun die Zehn Gebote als einen Inbegriff göttlicher Lehre, was wir tun
sollen, damit unser ganzes Leben Gott gefällt, und als rechten Quellborn und Röhre,
71 In der Zeit des Alten Testaments.