Die Bekenntnisschriften - page 371

Der Große Katechismus
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die Gemeinde, sei es vor ein weltliches oder geistliches Gericht. Denn dort stehst du
nicht allein, sondern hast jene Zeugen bei dir, durch die du den Schuldigen überführen
kannst. Darauf kann sich der Richter stützen, danach urteilen und strafen. So kann es
geordnet und rechtmäßig dazu kommen, daß man den Bösen in die Schranken weist
oder bessert. Sonst, wenn man einen anderen im Maul herumträgt durch alle Winkel
und den Unrat aufwühlt, wird niemand gebessert, und danach, wenn man Rede stehen
und bezeugen soll, will man es nicht gesagt haben. Darum geschähe es solchen Mäulern
recht, daß man ihnen die Lust daran verleide, damit sich andere gewarnt sein ließen.
Wenn du es deinem Nächsten zur Besserung oder aus Liebe zur Wahrheit tätest, wür-
dest du nicht heimlich herumschleichen und den Tag und das Licht scheuen.
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Das alles nun ist von heimlichen Sünden gesagt. Wo aber die Sünde ganz öffentlich
ist, so daß es der Richter und jedermann wohl weiß, da kannst du ihn ohne alle Sünde
meiden und fahren lassen, weil er sich selbst in Schande gebracht hat, und kannst
auch öffentlich von ihm zeugen. Denn was offen am Tage liegt, da kann es keine üble
Nachrede oder falsches Richten und Bezeugen geben. Wie wir zum Beispiel jetzt den
Papst mit seiner Lehre strafen, die öffentlich in Büchern an den Tag gegeben und in
alle Welt ausgeschrien ist. Denn wo die Sünde öffentlich ist, soll auch billigerweise
die öffentliche Strafe folgen, damit sich jedermann davor zu hüten wisse.
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Also haben wir nun den ganzen Sinn und die allgemeine Bedeutung dieses Gebotes:
Niemand soll seinem Nächsten, sei es Freund oder Feind, mit der Zunge schaden oder
Böses von ihm reden, gleichviel ob es wahr oder erlogen ist, wenn es nicht auf An-
ordnung oder zur Besserung geschieht. Sondern er soll seine Zunge gebrauchen und
dienen lassen, von jedem das Beste zu reden, seine Sünde und Fehler zudecken, ent-
schuldigen und sie mit seiner Ehre beschönigen und schmücken. Grund dafür soll vor
allem dieser sein, den Christus im Evangelium zeigt und in dem er alle Gebote gegen
den Nächsten zusammengefaßt haben will: „Alles nun, was ihr wollt, daß euch die
Leute tun sollen, das tut ihnen auch“ (Mt 7, 12).
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Auch lehrt uns solches die Natur an unserem eigenen Leibe, wie Sankt Paulus 1. Kor 12
(v. 22 f.) sagt: „Vielmehr sind die Glieder des Leibes, die uns die schwächsten zu sein
scheinen, die nötigsten; und die uns am wenigsten ehrbar zu sein scheinen, die um-
kleiden wir mit besonderer Ehre; und bei den unanständigen achten wir besonders auf
Anstand.“ Das Gesicht, Augen, Nasen und Mund deckt niemand zu, denn sie brau-
chen das nicht als die ehrbarsten Glieder, die wir haben. Aber die allergebrech-
lichsten, derer wir uns schämen, verhüllt man mit allem Fleiß. Da müssen Hände,
Augen samt dem ganzen Leib helfen, sie zu verdecken und zu verhüllen. So sollen
wir auch alle untereinander, was an unserem Nächsten unehrenhaft und schwach ist,
verhüllen und mit allem, was wir vermögen, ihm zu seiner Ehre dienen, helfen und
förderlich sein und andererseits zurückweisen, was ihm zur Unehre gereichen mag.
Und besonders ist es eine feine, edle Tugend, wenn einer alles, was er vom Nächsten
reden hört (das nicht öffentlich böse ist), wohlwollend auslegt und zum Besten deutet
und ihm zugute hält gegen die giftigen Mäuler, die darauf aus sind, wo sie etwas ent-
decken und erhaschen können, es am Nächsten zu tadeln und zum Ärgsten auszu-
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