Die Bekenntnisschriften - page 370

Der Große Katechismus
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So siehst du, daß es einfach verboten ist, von dem Nächsten etwas Böses zu reden.
Davon ausgenommen sind die weltliche Obrigkeit, Prediger, Vater und Mutter, damit
man dennoch dieses Gebot so versteht, daß das Böse nicht ungestraft bleiben soll.
Wie man nun laut dem fünften Gebot niemandem schaden soll am Leibe, ausgenom-
men Meister Hansen
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,
der seines Amtes wegen dem Nächsten nichts Gutes, sondern
nur Schaden und Böses tut und nicht gegen Gottes Gebot sündigt, weil Gott dieses
Amt um seiner selbst willen eingesetzt hat. Denn er hat sich die Strafe nach seinem
Belieben vorbehalten, wie er im ersten Gebot droht. Zwar soll jeder für seine Person
niemanden richten oder verdammen, aber wo die es nicht tun, denen es befohlen ist,
sündigen sie ebensosehr wie die, die es ohne Amt von sich aus tun. Denn hier fordert
die Not, von dem Übel zu reden, zu klagen, vorzubringen, zu fragen und zu bezeugen.
Und es geht nicht anders zu als mit einem Arzt, der manchmal dem, den er heilen soll,
an verborgene Orte [des Leibes] sehen und greifen muß. So sind Obrigkeit, Vater und
Mutter, ja auch Brüder und Schwestern und sonst gute Freunde es sich untereinander
schuldig, wo es nötig und nützlich ist, Böses zu strafen.
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Die richtige Weise wäre es aber, wenn man die Ordnung nach dem Evangelium halten
würde, Matthäus 19, wo Christus spricht: „Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin
und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein.“
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Da hast du eine köstliche, feine
Lehre, wie die Zunge zu beherrschen ist, die gut zu merken ist gegen den leidigen
Mißbrauch. Danach richte dich nun, damit du nicht sogleich den Nächsten anderswo
ins Gerede bringst und ihm nachredest, sondern vermahne ihn heimlich, damit er sich
bessert. Auch wenn ein anderer dir etwas zu Ohren trägt, was dieser oder jener getan
hat, lehre ihn auch so, daß er hingehe und ihn selbst strafe, wenn er es gesehen hat,
wenn nicht, daß er das Maul halte.
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Solches kannst du auch aus der täglichen Leitung des Hauses lernen. Denn so handelt
der Herr im Haus: Wenn er sieht, daß der Knecht nicht tut, was er soll, so spricht er
selbst mit ihm. Wenn er aber so verrückt wäre, ließe den Knecht daheim sitzen und gin-
ge heraus auf die Gassen, um es den Nachbarn zu klagen, müßte er freilich hören: „Du
Narr, was geht’s uns an, warum sagst du es ihm nicht selbst?“ Sieh, das wäre recht brü-
derlich gehandelt, so daß dem Übel abgeholfen würde und dein Nächster bei Ehren
bliebe. Wie auch Christus dort sagt: „Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewon-
nen“ (Mt 18, 15). Da hast du ein großartiges, vortreffliches Werk getan. Denn meinst
du, es sei eine geringe Sache, einen Bruder zu gewinnen? Laß alle Mönche und heilige
Orden mit allen ihren Werken zu einem Haufen verschmolzen hervortreten, ob sie den
Ruhm aufbringen können, daß sie einen Bruder gewonnen haben?
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Weiter lehrt Christus: „Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir,
damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde“
(Mt 18, 16), so daß man jeweils mit dem selbst umgeht, den es betrifft, und nicht hinter
seinem Rücken über ihn redet. Will aber solches nicht helfen, so trage es öffentlich vor
68 Der Henker.
69 Mt 18 (!), 15.
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