Die Bekenntnisschriften - page 372

Der Große Katechismus
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legen und zu verdrehen, wie es jetzt vor allem dem lieben Gotteswort und seinen Pre-
digern geschieht. Deshalb sind in diesem Gebot mächtig viele gute Werke zu-
sammengefaßt, die Gott aufs höchste wohlgefallen und überreichlich Gut und Segen
mit sich bringen, wenn nur die blinde Welt und die falschen Heiligen sie erkennen
wollten. Denn es ist nichts an und im ganzen Menschen, das mehr und wirksamer
sowohl Gutes schaffen als auch Schaden tun kann in geistlichen und weltlichen Din-
gen als die Zunge, die doch das kleinste und schwächste Glied ist (vgl. Jak 3, 5 f.).
Das neunte und zehnte Gebot
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines
Nächsten Frau, Knecht, Magd, Vieh oder alles, was sein ist.
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Diese zwei Gebote sind, genau genommen, den Juden im besonderen gegeben, ob-
wohl sie auch uns zum Teil betreffen. Denn sie beziehen sie nicht auf Unkeuschheit
oder Diebstahl, weil dieses oben ausreichend verboten ist. Sie meinten auch, sie hät-
ten jene Gebote alle gehalten, wenn sie äußerlich die Werke getan oder nicht getan
hatten. Darum hat Gott diese zwei Gebote hinzugesetzt, damit man es auch für Sünde
und für verboten halte, des Nächsten Frau oder Besitz zu begehren und auf irgendei-
ne Weise danach zu trachten, vor allem auch darum, weil in der jüdischen Ordnung
Knechte und Mägde nicht wie jetzt frei waren, für Lohn zu dienen, solange sie woll-
ten, sondern mit ihrem Leib und allem, was sie hatten, das Eigentum ihres Herren
waren wie das Vieh und anderes Gut. Darüber hinaus hatte jeder über seine Frau die
Macht, sie mit einem Scheidebrief öffentlich zu verstoßen und eine andere zu neh-
men. Da mußten sie nun untereinander darauf gefaßt sein, wenn jemand die Frau
eines anderen gerne gehabt hätte, daß er irgendeinen Grund fand, sowohl seine Frau
loszuwerden als auch dem anderen seine Frau abspenstig zu machen, um sie mit
Recht an sich zu bringen. Das war nun bei ihnen keine Sünde oder Schande, ebenso-
wenig wie es jetzt mit den Dienstleuten ist, wenn ein Hausherr seinen Knecht oder
seine Magd entläßt oder einer sie dem anderen abwirbt.
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Darum haben sie nun (sage ich) diese Gebote so gedeutet, wie es auch richtig ist
(auch wenn ihr Sinn weiter und höher geht), daß niemand daran denke oder sich vor-
nehme, das, was dem anderen gehört, wie Frau, Dienstleute, Haus und Hof, Äcker,
Wiesen und Vieh, an sich zu bringen, auch wenn es mit gutem Schein und Vorwand,
aber zum Schaden des Nächsten geschieht. Denn oben im siebten Gebot ist das Un-
recht verboten, daß man fremdes Gut an sich reißt oder es dem Nächsten vorenthält,
wozu man kein Recht haben kann. Hier aber ist auch verwehrt, dem Nächsten etwas
auszuspannen, auch wenn man dazu vor der Welt in Ehren kommen kann, so daß dich
niemand zu beschuldigen oder zu tadeln wagt, als hättest du es unrechtmäßig erlangt.
Denn die Natur ist so beschaffen, daß niemand dem anderen soviel wie sich selbst
gönnt und jeder an sich bringt, soviel er immer kann. Ein anderer muß sehen, wo er
bleibt. Und wollen dazu noch rechtschaffen sein, können uns aufs beste verhüllen und
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