Das Augsburger Bekenntnis
80
daß sie den Überlieferungen nicht gerecht werden konnten, und dabei nicht den Trost
von der Glaubensgerechtigkeit und der Gnade hörten. Wir sehen [zwar], daß die
Summisten
und Theologen Überlieferungen zusammentragen und [Urteile der] Bil-
ligkeit
suchen, um die Gewissen zu entlasten.
d
Dennoch bieten sie keine genügen-
de Befreiung, sondern legen dabei die Gewissen noch mehr
dd
in Fesseln. Auch waren
die Schulen und Sammler so sehr mit dem Zusammenstellen von Traditionen be-
schäftigt, daß keine Zeit blieb, die Schrift in die Hand zu nehmen und nach der zu-
träglicheren Lehre vom Glauben, vom Kreuz, von der Hoffnung, von der [eigenen]
Würde der weltlichen Dinge, vom Trost der Gewissen in schweren Anfechtungen zu
suchen. Deshalb haben
e
Gerson und einige andere Theologen mächtig
ee
darüber ge-
klagt, daß sie durch diesen Streit über die Traditionen daran gehindert werden, sich
mit einer besseren Art von Lehre zu befassen.
f
Auch Augustinus verbietet, die Ge-
wissen mit dieser Art von Verpflichtungen zu belasten, und gibt Januarius klug zu
bedenken, er möge wissen, daß es keinen Unterschied macht, ob sie beachtet werden
oder nicht. So nämlich spricht er.
Av
[Änderungen:]
c…cc
[CR 388] Diese Werke wurden verachtet und nicht für Gottesdienste gehalten. Die meisten
waren in ständigem Zweifel, ob die Ehe, die Obrigkeit und ähnliche Aufgaben des bürgerlichen
Lebens Gott gefielen. Dieser Zweifel hat viele sehr gequält. Viele gaben den Beruf und das Leben in
der Öffentlichkeit auf und begaben sich in die Klöster, um eine Lebensform zu wählen, von der sie
meinten, daß sie Gott mehr gefalle, ja daß man durch sie Sündenvergebung verdienen würde.
Drittens hat auch die Meinung von der Notwendigkeit [der Überlieferungen] den Gewissen
hart zugesetzt. Man hielt die Überlieferungen für notwendig, und dennoch befolgte niemand alle,
wie genau er es auch nahm, da es unzählige gibt.
d…dd
Aber sie tun sich nicht einmal selbst genug; sie können sich nicht genügend herauswinden.
Manchmal legen auch diese eigenen Auslegungen selbst die Gewissen
e…ee
viele treffliche Männer oft
f
[Ausführlicherer Text von hier an bis zum Schluß des Artikels; s. u.]
[
2
Kulthandlungen verdienen nicht das Heil] Deshalb dürfen die Unseren nicht so
beurteilt werden, als hätten sie diese Sache leichtfertig oder aus Haß auf die Bischöfe
angerührt, wie manche fälschlich vermuten. Es war [vielmehr] höchst notwendig, die
Kirchen über jene Irrtümer, die aus den schlecht [104] verstandenen Traditionen ent-
sprungen waren, zu unterrichten. Denn das Evangelium nötigt dazu, die Lehre von der
Gnade und der Glaubensgerechtigkeit in der Kirche eifrig zu betreiben. Diese kann
jedoch nicht verstanden werden, wenn die Menschen meinen, sie würden durch die
von ihnen selbst ausgewählten Kulthandlungen die Gnade verdienen.
So haben sie also gelehrt, daß wir durch die Befolgung menschlicher Überlieferun-
gen nicht die Gnade verdienen oder für die Sünde Genugtuung leisten können. Daher
darf man nicht meinen, Vorschriften dieser Art seien notwendige Gottesdienste.
109 Verfasser von Beichthandbüchern mit Beispielen für Gewissensfälle.
110 Der Text hat hier das griechische Wort „epieikia“, das nach Aristoteles besagt, etwas für gerecht zu halten wegen
einer Entsprechung zum Gesetz, auch wenn dessen Vorschrift nicht erfüllt wurde.
111 Augustinus († 430), Brief 54, Kap. 2, an Januarius.