Die Bekenntnisschriften - page 84

Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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nicht zugerechnet wird, obwohl die Sache, wenn sie nicht vergeben wird, eigentlich
des Todes würdig ist. So denken, von Streitfällen abgesehen, auch die Väter. Denn
Augustinus widerlegt in einer ausführlichen Erörterung die Auffassung derer, die
meinten, daß die Begierde im Menschen kein Fehler sei, sondern ein „Mittelding“, so
wie z. B. die Farbe eines Körpers oder ein schlechter Gesundheitszustand Mitteldinge
genannt werden.
[Sünde als Widerstreben gegen Gott]
Wenn aber die Gegner beteuern, der Zunder sei ein Mittelding, so werden [dem] nicht
nur viele Sätze der Heiligen Schrift, sondern auch fast die ganze Kirche entge-
genstehen – wenngleich die Väter an dieser Stelle keinen völligen Konsens erzielen
konnten. Wer hätte je gewagt zu behaupten, es seien Mitteldinge, Gottes Zorn [und
ebenso] seine Gnade und sein Wort in Zweifel zu ziehen? Zornig zu sein über Gottes
Urteilssprüche und entrüstet darüber, daß Gott nicht sofort aus allen Anfechtungen
rettet? Zu murren, wenn gottlose Menschen mehr Glück haben als fromme? Gereizt
zu werden durch Zorn, Gier, Ehrsucht und Reichtum usw.? Und fromme Menschen
erkennen dies auch bei sich selbst, wie die Psalmen und die Propheten zeigen. In den
Schulen aber haben sie an dieser Stelle ganz fremde Auffassungen aus der Philoso-
phie eingeführt: daß wir hinsichtlich der Leidenschaften weder gut noch böse und
daher weder zu loben noch zu tadeln seien; ebenso, daß Sünde nur das sei, dem man
willentlich zustimme. Diese Sätze sind von den Philosophen im Blick auf weltliche
Gerichte, [156] nicht aber im Blick auf das göttliche Gericht aufgestellt worden. Um
nichts klüger flicken sie noch andere Lehrsätze an, daß die Natur nicht böse sei. Wird
dies im richtigen Zusammenhang behauptet, [CR 428] so haben wir nichts dagegen;
aber falsch wird es gewendet, wenn damit die Erbsünde verharmlost wird. Und doch
liest man solche Lehrsätze bei den Scholastikern, die völlig unpassend eine philoso-
phische oder politische Sittenlehre mit dem Evangelium vermischen. Und das wurde
nicht nur in den Schulen erörtert, sondern, wie geschehen, auch unters Volk getragen.
Und diese Meinungen wurden herrschend, stärkten das Vertrauen auf die menschli-
chen Fähigkeiten und unterdrückten die Erkenntnis der Gnade Christi. Deshalb hat
Luther, der das Ausmaß der Erbsünde und der menschlichen Schwäche zeigen wollte,
gelehrt, daß jene Reste der Erbsünde im Menschen ihrer Natur nach nicht Mitteldinge
sind, sondern der Gnade Christi bedürfen, um nicht zugerechnet zu werden, sowie des
Heiligen Geistes, um abgetötet zu werden.
[Macht des Teufels und Übermacht Christi]
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Die Scholastiker verharmlosen beides, Sünde und Strafe, indem sie lehren, der
Mensch könne aus eigenen Kräften die Gebote Gottes erfüllen. Im 1. Buch Mose aber
wird die für die Erbsünde auferlegte Strafe anders geschildert. Dort wird nämlich die
menschliche Natur nicht nur dem Tod und anderen körperlichen Übeln unterworfen,
sondern auch der Herrschaft des Teufels. Denn da ergeht dieses schreckliche Urteil:
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