Die Bekenntnisschriften - page 87

Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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zu sein, daß er [uns] erhört, und Gottes Hilfe zu erwarten im Tode und in allen
Anfechtungen; schließlich fordern die Gebote Gehorsam gegen Gott im Tode und in
allen Anfechtungen, damit wir vor diesen nicht fliehen und uns abwenden, wenn Gott
sie auferlegt.
[Der Irrtum von der „natürlichen Gottesliebe“]
Im Anschluß an die Philosophen lehren die Scholastiker hier nur eine Gerechtigkeit
der Vernunft, also weltliche Werke. Und sie erdichten noch dazu, die Vernunft könne
Gott auch ohne den Heiligen Geist über alles lieben. Denn solange der menschliche
Geist unbeschwert ist und den Zorn und das Urteil Gottes nicht spürt, kann er sich
einbilden, Gott zu lieben und um seinetwillen Gutes tun zu wollen. So lehren sie, daß
die Menschen die Vergebung der Sünden verdienen, indem sie tun, was in ihnen ist,
wenn die Vernunft im Schmerz über die Sünde einen Akt der Gottesliebe hervor-
bringt oder um Gottes willen Gutes tut. [161] Und weil diese Auffassung den Men-
schen von Natur aus schmeichelt, hat sie eine Fülle kirchlicher Gebräuche hervorge-
bracht und vermehrt, so z. B. die Mönchsgelübde, die Mißbräuche der Messe; und
danach haben andere aufgrund dieser Meinung noch weitere Gebräuche und
Vorschriften ersonnen. Und um das Vertrauen auf solche Werke noch zu nähren und
zu mehren, haben sie behauptet, Gott müsse einem, der so handelt, notwendig gnädig
sein, [wenn auch] nicht aufgrund einer „Notwendigkeit des Zwanges“, sondern „der
Unveränderlichkeit“.
[Christi Gerechtigkeit würde entbehrlich werden]
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In dieser Auffassung wurzeln viele verderbliche Irrtümer. Sie hier aufzuzählen, wür-
de aber zu lange dauern. Nur eines möge der kluge Leser bedenken: Wenn dies die
christliche Gerechtigkeit ist, wo liegt dann der Unterschied zwischen der Philosophie
und der Lehre Christi? Wenn wir die Vergebung der Sünden durch diese unsere her-
vorgelockten Werke verdienen, was leistet dann Christus noch? Wenn wir durch die
Vernunft und ihre Werke gerechtfertigt werden können, wozu brauchen wir dann
noch Christus oder die Wiedergeburt? Auch ist es aufgrund dieser Anschauungen
schon so weit gekommen, daß viele uns verspotten, weil wir lehren, daß eine andere
als die philosophische Gerechtigkeit gesucht werden müsse. Wir haben gehört, daß
einige Leute anstatt der Predigt – unter Hintanstellung des Evangeliums – die Ethik
des Aristoteles vorgetragen haben. Und sie taten nichts Falsches, wenn wirklich wahr
ist, was die Gegner verteidigen. Denn Aristoteles hat derart gelehrt über die weltli-
chen Sitten geschrieben, daß in diesen Dingen eigentlich gar nichts mehr zu erfor-
schen bleibt. [162] Wir sehen, daß es Bücher gibt, in denen bestimmte Worte Jesu mit
denen des Sokrates, des Zenon
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oder anderer verglichen werden, ganz so, als sei
Christus gekommen, [CR 431] um uns irgendwelche Gesetze vorzutragen. [Und zwar
28 Zenon [der Jüngere] († 262 v. Chr.), Gründer der philosophischen Schule der Stoa.
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