Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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[Verhältnis von Erbsünde und Taufe]
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Hier dreschen die Gegner auch auf Luther ein, weil der geschrieben hat: „Die
Erbsünde bleibt nach der Taufe.“
Und sie fügen hinzu, [154] dieser Artikel sei
durch Papst Leo X. völlig zu Recht verdammt worden
Aber die Kaiserliche Maje-
stät wird bemerken, daß dies nur eine plumpe Verdrehung der Tatsachen ist. Die
Gegner wissen nämlich, in welchem Sinne Luther die These verstanden wissen
wollte, daß die Erbsünde auch nach der Taufe noch vorhanden sei. Denn immer hat er
daran festgehalten, daß die Taufe die Schuld der Erbsünde beseitigt, obwohl die
Quelle der Sünde, wie sie es nennen (nämlich die Begierde), bleibt. Und im Blick
darauf hat er noch hinzugefügt, daß der Heilige Geist, der durch die Taufe verliehen
ist, die Begierde zu töten beginnt und neue Regungen im Menschen weckt.
Auf
dieselbe Weise spricht auch Augustinus, wenn er sagt: „Die Sünde wird in der Taufe
vergeben, doch nicht so, daß sie nun nicht mehr da ist. Sie wird nur nicht mehr zuge-
rechnet.“
Damit bezeugt er ganz offen, [CR 427] daß die Sünde noch da ist und
bleibt, aber doch nicht mehr zugerechnet wird. Und diese Formulierung hat den Spä-
teren so gut gefallen, daß sie sogar in den Dekreten zitiert worden ist. Und Augusti-
nus sagt in seiner Schrift „Gegen Julian“
„Dieses Gesetz, das in den Gliedern haf-
tet, ist durch die geistliche Wiedergeburt vergeben und bleibt [dennoch] im sterbli-
chen Fleisch. Es ist vergeben, weil die Schuld durch das Sakrament, durch das die
Gläubigen neu geboren werden, aufgehoben ist; es bleibt aber, weil es die Begierden
weckt, mit denen sich die Gläubigen herumschlagen [müssen].
Daß Luther derart
denkt und lehrt, wissen die Gegner. Und obwohl sie die Sache nicht verwerfen kön-
nen, verdrehen sie doch seine Worte, um ihn, obwohl unschuldig, durch diesen
Kunstgriff zu überwältigen.
[Die Begierde ist selbst Sünde, nicht neutral]
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Sie aber behaupten, daß die Begierde eine „Strafe“, nicht aber eine „Sünde“ sei.
Luther hält daran fest, daß sie eine Sünde ist. Oben wurde festgestellt, [155] daß Au-
gustinus die Erbsünde als „Begierde“ definiert. Sie sollen sich bei Augustinus be-
schweren, wenn dieser Satz etwas Anstößiges enthält. Außerdem sagt Paulus: „Ich
wußte nichts von der Begierde, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: ‚Du sollst nicht
begehren‘“ (Röm 7, 7); und ebenso: „Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen
Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und hält mich gefangen im
Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist“ (Röm 7, 23). Diese Schriftbeweise
können durch keine Spitzfindigkeit aufgehoben werden. Denn unmißverständlich
nennen sie die Begierde eine Sünde. Allerdings eine, die denen, die in Christus sind,
22 So Luther in seiner zweiten These zur Leipziger Disputation 1519.
23 In der Bannandrohungsbulle gegen Luther vom 15. Juni 1520.
24 So vor allem in Luthers Widerlegung des Loewener Theologen Jacobus Latomus („Rationis Latomianae confuta-
tio“) von 1521.
25 Augustinus, Von der Vermählung und der Begierde, Buch 1, Kap. 25.
26 Julian von Aeclanum († um 454), Anhänger des Pelagius, der sich gegen die Erbsündenlehre Augustins wandte.
27 Augustinus, Gegen Julian, Buch 2, Kap. 3.