Die Bekenntnisschriften - page 88

Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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Gesetze], durch deren Befolgung wir die Vergebung der Sünden verdienten, sie also
nicht mehr umsonst (d. h. um des Verdienstes Christi willen) empfingen. Wenn wir
hier die Lehre der Gegner übernähmen, daß wir die Vergebung der Sünden und die
Rechtfertigung durch Werke der Vernunft verdienen, gäbe es keinen Unterschied
mehr zwischen der philosophischen oder wahrhaft pharisäischen Gerechtigkeit und
der christlichen Gerechtigkeit.
[Angeblicher „Zustand der Gnade“]
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Um Christus nicht ganz zu übergehen, fordern die Gegner aber dennoch die Kenntnis
der Geschichte von Christus. Und sie gestehen ihm zu, er habe es für uns verdient,
daß wir mit einem gewissen „Zustand“ begabt würden, der „ersten Gnade“, wie sie es
nennen. Diese verstehen sie als einen Zustand, der es uns möglich macht, Gott leich-
ter zu lieben. Was sie diesem Zustand zuschreiben, ist allerdings dürftig. Sie behaup-
ten nämlich, daß die Willensakte vor und nach jenem Zustand von der gleichen Art
sind. Sie bilden sich ein, der Wille könne Gott lieben; aber der Zustand stachle ihn
dennoch dazu an, dies lieber zu tun. Und sie fordern zunächst, daß dieser Zustand
durch vorangehende Werke verdient werde; sodann verlangen sie, das Wachstum
dieses Zustandes und das ewige Leben durch Werke des Gesetzes zu verdienen. [163]
So begraben sie Christus, damit die Menschen ihn nicht als Mittler in Anspruch neh-
men und darauf vertrauen, um seinetwillen, umsonst die Vergebung der Sünden und
die Versöhnung zu empfangen. Vielmehr sollen sie sich einbilden, durch eigene Ge-
setzeserfüllung Vergebung der Sünden zu erlangen und durch eigene Gesetzeserfül-
lung vor Gott gerecht gesprochen zu werden, obwohl doch dem Gesetz niemals
Genüge geschieht. Denn die Vernunft vollbringt nichts anderes als weltliche Werke.
Dabei fürchtet sie Gott nicht und glaubt auch nicht wirklich, daß er für sie sorgt. Und
obwohl sie von diesem Zustand sprechen, so kann es doch ohne Glaubensgerechtig-
keit unmöglich Liebe zu Gott in den Menschen geben, noch kann man verstehen, was
die Gottesliebe ist.
[Selbsttäuschung über „Verdienste“]
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Und wenn sie einen Unterschied ersinnen zwischen dem „Verdienst aus Billigkeit“
und dem „aus Würdigkeit“, so ist das nur eine Täuschung, damit man nicht merkt,
daß sie offenkundig Pelagianer
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sind. Denn wenn Gott notwendig Gnade erweist für
das Billigkeitsverdienst, so ist es ja kein solches mehr, sondern ein Verdienst aus
Würdigkeit. Sie aber sehen nicht, was sie da sagen. Nach jenem Zustand der Liebe, so
fabulieren sie, verdiene der Mensch die Gnade aus Würdigkeit. Gleichwohl ver-
langen sie zu zweifeln, ob dieser Zustand auch [wirklich] erreicht ist. Wie wissen sie
dann aber, ob sie die Gnade aufgrund der Billigkeit oder aufgrund der Würdigkeit
29 Anhänger des Augustinusgegners Pelagius, der zu Beginn des 5. Jahrhunderts auftrat und die Freiheit des
menschlichen Willens gegen die Lehre von der Erbsünde betonte.
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