Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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verdienen? Aber – diese ganze Sache ist von müßigen Leuten ersonnen worden, die
nicht wußten, wie uns die Vergebung der Sünden widerfährt und wie uns im Gericht
Gottes und den Gewissensqualen das Vertrauen auf die Werke ausgetrieben wird. Die
selbstsicheren Heuchler meinen immer, daß sie es der Würdigkeit wegen verdienen,
mag jener Zustand nun dasein oder nicht, weil sich die Leute von Natur aus auf die
eigene Gerechtigkeit verlassen. Die erschrockenen Gewissen aber schwanken und
zweifeln; unterdessen [CR 432] suchen sie nach anderen Werken und häufen sie an,
um sich zu beruhigen. Sie glauben niemals, [164] das Würdigkeitsverdienst zu erlan-
gen, und stürzen in Verzweiflung, wenn sie nicht außer der Gesetzeslehre auch das
Evangelium von der umsonst geschenkten Sündenvergebung und Glaubensgerechtig-
keit hören.
So lehren die Gegner nichts als die Gerechtigkeit der Vernunft oder doch des Ge-
setzes, auf welche sie schauen wie die Juden auf das verhüllte Angesicht des Mo-
se (2. Mose 34, 30–35; 2. Kor 3, 13). In den selbstsicheren Heuchlern, die dem Ge-
setz Genüge zu tun meinen, wecken sie Anmaßung, eitles Vertrauen auf die Werke
und Verachtung der Gnade Christi. Die furchtsamen Gewissen dagegen treiben sie zur
Verzweiflung, die, weil sie voller Zweifel Werke tun, nie erfahren können, was
Glaube ist und wie er wirkt. Deshalb verzweifeln sie schließlich völlig.
[Lob der Vernunftgerechtigkeit]
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Wir aber denken so von der Gerechtigkeit der Vernunft: Gott fordert sie, und wegen
des Gebotes Gottes müssen notwendig die ehrbaren Dinge getan werden, die die Zehn
Gebote fordern, nach dem Schriftwort: „So ist das Gesetz unser Zuchtmeister“ (Gal 3,
24), und ebenso: „Das Gesetz ist für die Ungerechten gegeben“ (1. Tim 1, 9). Denn
Gott will, daß die fleischlichen Menschen durch diese äußerliche Ordnung in die
Schranken gewiesen werden. Und um diese aufrecht zu erhalten, hat er Gesetze,
Schriften, Lehre, Obrigkeit und Strafen gegeben. Zwar kann auch die Vernunft aus
ihren eigenen Kräften irgendwie eine solche Gerechtigkeit herstellen, wenngleich sie
oft durch die ihr angeborene Schwäche und den andrängenden Teufel besiegt wird,
der sie zu schlimmen Untaten verleitet. Zwar haben auch wir dieser Vernunftgerech-
tigkeit gern das ihr gebührende Lob gezollt (denn unsere verdorbene Natur hat kein
größeres Gut, und zu Recht sagt Aristoteles: „Weder der Morgen- noch der Abend-
stern sind schöner als die Gerechtigkeit“
und Gott belohnt sie auch mit leiblichen
[165] Gütern). Dennoch darf sie nicht derart gepriesen werden, daß Christus dadurch
Schmach angetan wird.
30 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch 5, Kap. 3.