Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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gleichen Streitfrage benutzt hat.
Wenn aber ein fleischlicher Sinn Feindschaft gegen
Gott ist, so steht fest, daß das Fleisch Gott nicht liebt. Und wenn das Fleisch dem
Gesetz Gottes nicht unterworfen werden kann, kann es Gott auch nicht lieben. Und
wenn ein fleischlicher Sinn Feindschaft gegen Gott ist, so sündigt das Fleisch auch
dann, wenn wir äußere, weltliche Dinge tun. Und wenn ein solcher Sinn dem Gesetz
Gottes nicht unterworfen werden kann, so sündigt er auch dann, wenn er nach
menschlichem Urteil außerordentliche oder hervorragende Dinge vollbringt.
[Fehlurteil der Gegner: Nichtbeachtung der ersten Tafel des Dekalogs]
Die Gegner schauen hier [nur] auf die Gebote der zweiten Tafel, die die weltliche
Gerechtigkeit umfassen, die auch die Vernunft begreift. Damit zufrieden, glauben sie,
das Gesetz Gottes zu erfüllen. Dabei lassen sie aber die erste Tafel ganz außer acht,
die gebietet, Gott zu lieben, fest davon überzeugt zu sein, daß er der Sünde zürnt, ihn
wirklich zu fürchten und gänzlich sicher zu sein, daß er uns erhört. Wenn aber der
Heilige Geist nicht da ist, verachtet das menschliche Herz entweder in falscher Si-
cherheit das Urteil Gottes, oder aber es flieht angesichts der Strafe und haßt den
richtenden Gott. Deshalb ist es der ersten Tafel nicht gehorsam. Da die Verachtung
Gottes und der Zweifel an seinem Wort, an den Drohungen und Verheißungen
[CR 434] demnach [bereits] in der Natur des Menschen liegen, sündigen die Men-
schen tatsächlich auch dann, wenn sie – ohne den Heiligen Geist! – ehrbare Dinge
tun. Sie tun diese dann nämlich aus einem gottlosen Herzen heraus, ganz nach jenem
Spruch: „Was aber nicht aus dem Glauben kommt, das ist Sünde“ (Röm 14, 23). Sie
handeln dann nämlich unter Mißachtung Gottes, so wie auch Epiku
nicht glauben
wollte, daß Gott sich um ihn sorge, ihn beachte oder erhöre. Und diese Mißachtung
verdirbt die scheinbar ehrbaren Werke, denn Gott richtet die Herzen.
[„Hervorgelockte Werke“: Verkennung von Gottes Gericht und Gewissensschrecken]
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[167] Völlig unklug behaupten die Gegner dann zuletzt auch noch dies: Die Men-
schen könnten, obwohl sie dem Zorn verfallen wären, durch ein hervorgelocktes
Werk der Liebe die Vergebung der Sünden verdienen. – Dabei ist es doch unmöglich,
Gott zu lieben, ohne daß man zuvor im Glauben die Vergebung der Sünden ergriffen
hat! Denn wenn das Herz wirklich fühlt, daß ihm Gott zürne, kann es Gott nicht lie-
ben, es sei denn, der zeigt sich versöhnt. Solange ihm Gott aber Schrecken einjagt und
es so scheint, als wolle Gott uns in den ewigen Tod stoßen, solange kann sich die
menschliche Natur nicht dazu aufraffen, den zürnenden, richtenden und strafenden
Gott zu lieben. Für innerlich unbeteiligte Leute ist es natürlich leicht, derartige
Phantasien über die Liebe auszuspinnen, z. B. daß auch ein einer Todsünde Ange-
klagter Gott über alles lieben könne. Sie wissen nämlich gar nicht, was „Zorn“ oder
32 Augustinus, Von der Gnade und dem freien Willen, Kap. 8, 19.
33 Epikur († 270 v. Chr.), Gründer der nach ihm benannten philosophischen Schule.