Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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[Falsche Beurteilung des eigenen Tuns]
Denn falsch ist es, daß wir durch unsere Werke die Vergebung der Sünden verdienen.
Und falsch ist es auch, daß die Menschen um der Gerechtigkeit der Vernunft willen
vor Gott als gerecht gelten.
Falsch ist auch dies, daß die Vernunft aus ihren Kräften Gott über alles lieben und
sein Gesetz erfüllen kann. Sie kann nämlich nicht wirklich Gott fürchten, nicht wirk-
lich glauben, daß er Gebete erhört, nicht Gott gehorsam sein wollen angesichts des
Todes und anderer Schickungen Gottes. Sie kann nicht davon ablassen, Fremdes zu
begehren usw., obwohl die Vernunft weltliche Werke vollbringen kann.
Falsch ist es auch und eine Schmähung für Christus dazu, daß Menschen, die die
Gebote Gottes ohne Gnade erfüllen, nicht sündigen.
[Schrift und Kirchenväter belegen das Unvermögen von Vernunft und Willen]
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Für diese unsere Lehre können wir Beweise beibringen, nicht nur aus der Heiligen
Schrift, sondern auch aus den Kirchenvätern. Denn Augustinus [CR 433] schreibt
gegen die Pelagianer sehr ausführlich darüber, daß die Gnade nicht um unserer Ver-
dienste willen verliehen wird. Und in seiner Schrift „Von Natur und Gnade“ sagt er:
„Wenn das natürliche Vermögen durch den freien Willen erkennen kann, wie man
leben soll, und zu einem guten Leben ausreicht, so ist Christus umsonst gestor-
ben (Gal 2, 21) und das Ärgernis des Kreuzes (1. Kor 1, 23) völlig sinnlos. Warum
soll deshalb auch ich hier nicht aufschreien? Ja, ich werde schreien und sie voll
christlichen Schmerzes anklagen: ‚Ihr habt Christus verloren, die ihr durch die Natur
gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen‘ (Gal 5, 4). ‚Denn ihr erkennt
die Gerechtigkeit nicht, die vor Gott gilt, und sucht eure eigene Gerechtigkeit aufzu-
richten und seid so der Gerechtigkeit Gottes nicht untertan‘ (Röm 10, 3). Denn so wie
Christus ‚das Ende des Gesetzes‘ ist, so ist er auch der Erlöser der verdorbenen
menschlichen Natur ‚zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt‘ (Röm 10, 4).
Und Joh 8
(v. 36) heißt es: „Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.“
Durch die Vernunft können wir also nicht von den Sünden befreit werden und die
Vergebung der Sünden verdienen. [166] Und Joh 3 (v. 5) steht geschrieben: „Es sei
denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich
Gottes kommen.“ Wenn wir aber durch den Heiligen Geist wiedergeboren werden
müssen, so rechtfertigt uns die Gerechtigkeit der Vernunft nicht vor Gott; sie erfüllt
das Gesetz nicht. Röm 3 (v. 23): „Sie ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben
sollten“, d. h., sie ermangeln der Weisheit und der Gerechtigkeit, die Gott anerkennt
und rühmt. Ebenso heißt es Röm 8 (v. 7 f.): „Fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft
gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag’s
auch nicht. Die aber fleischlich gesinnt sind, können Gott nicht gefallen.“ „Dies aber
sind so klare Beweise, daß sie keines scharfen Verstandes bedürfen, sondern nur eines
aufmerksamen Zuhörers“, um es mit Augustinus zu sagen, der ebendiese Worte in der
31 Augustinus, Von der Natur und der Gnade, Kap. 40; 47.