Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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übereinstimmende Meinung der Propheten als Konsens der ganzen Kirche gelten.
Weder dem Papst noch der Kirche räumen wir die Vollmacht ein, gegen diesen Kon-
sens der Propheten zu entscheiden. Aber die Bulle Papst Leos X.
verdammt offen
diesen Artikel über die Sündenvergebung; auch die Gegner verdammen ihn in ihrer
Konfutation. Daraus wird klar, wie die Kirche derer zu beurteilen ist, die nicht nur in
Dekreten diesen Satz verwerfen (daß wir Sündenvergebung durch den Glauben er-
langen, nicht um unserer eigenen Werke, sondern um Christi willen), sondern sogar
wollen, daß er durch Gewalt und Schwert ausgelöscht wird, und die Anweisung ge-
ben, tüchtige Leute, die so denken, durch jedwede Grausamkeit zu vernichten.
Doch haben sie sehr namhafte Gewährsleute: Duns Scotu
, Gabriel Biel
und
ähnliche, [dazu noch] Worte der Kirchenväter, die in den Kirchengesetzen verkürzt
zitiert werden. Gewiß, wenn es um die Zahl der Belegstellen ginge, dann würden sie
gewinnen. Denn es gibt einen riesigen Schwarm geschwätziger Sentenzenkommenta-
tore
, die wie Verschwörer jene Hirngespinste vom Verdienst der Anfangsreue und
der Werke und anderes, was wir oben genannt haben, verteidigen. Doch damit sich
niemand durch die Menge beeindrucken lasse: Den Zeugnissen der Späteren kommt
keine große Autorität zu. Denn sie haben keine eigenen Schriften verfaßt, [266] son-
dern diese Meinungen nur beim Abschreiben aus Früheren aus den einen Büchern in
andere übertragen. Sie haben kein Urteil abgegeben, sondern haben wie zweitklassige
Senatoren die nicht erkannten Irrtümer ihrer Vorgänger stillschweigend gutgeheißen.
Wir zögern daher nicht, dieses Petrus-Wort, das den Konsens der Propheten zum
Ausdruck bringt, diesen zahlreichen Legionen von Sentenzenkommentatoren entge-
genzustellen. Und zu dieser Predigt des Petrus tritt das Zeugnis des Heiligen Geistes
hinzu. So nämlich sagt der Text: „Während Petrus noch diese Worte redete, fiel der
Heilige Geist auf alle, die dem Wort zuhörten“ (Apg 10, 44).
Die frommen Gewissen sollen daher wissen: Es ist ein Gebot Gottes, daß sie glau-
ben, ihnen werde umsonst vergeben um Christi, nicht um unserer Werke willen.
[CR 549] Und durch dieses Gebot richten sie sich auf gegen die Verzweiflung und die
Schrecken der Sünde und des Todes. Sie sollen auch wissen, daß es diese Lehre seit
dem Beginn der Welt in der Kirche bei den Heiligen gegeben hat. Denn Petrus
bezieht sich klar auf den Konsens der Propheten, und die Schriften der Apostel be-
zeugen, daß sie dasselbe meinen. Auch fehlt es nicht an Zeugnissen der Kirchenväter.
Denn Bernhard sagt dasselbe mit keineswegs dunklen Worten: „Vor allem anderen
mußt du glauben, daß du Vergebung der Sünden nur durch Gottes Nachsicht haben
kannst; doch füge hinzu, daß du auch glaubst, daß dir durch ihn selbst die Sünden
geschenkt werden. Dies ist das Zeugnis, das der Heilige Geist in deinem Herzen dar-
bietet, indem er spricht: ‚Erlassen sind dir deine Sünden.‘ So nämlich urteilt der
Apostel, daß der Mensch umsonst durch den Glauben gerechtfertigt wird.“
Diese
92 Bannandrohungsbulle gegen Luther 1520.
93 Franziskanertheologe in Oxford, Paris und Köln († 1308).
94 Theologe in Tübingen († 1495).
95 S. o. Nr. 94, Anm. 86.
96 Bernhard, Predigt zum Tag der Verkündigung der seligen Jungfrau Maria, Kap. 1, 1.