Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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re Werke dem Zorn Gottes entgegenhalten sollen. Dies ist die Lehre des Gesetzes,
nicht des Evangeliums. Sie gibt vor, daß der Mensch eher durch das Gesetz gerecht-
fertigt wird, als er durch Christus mit Gott versöhnt ist, obwohl Christus spricht:
„Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15, 5); ebenso: „Ich bin der wahre Weinstock,
ihr seid die Reben“ (Joh 15, 5). Doch ersinnen die Gegner, daß wir nicht Reben
Christi, sondern des Mose sind. Denn sie wollen zuvor durch das Gesetz gerechtfer-
tigt werden [und] Gott unsere Liebe und Werke anbieten, ehe sie durch Christus mit
Gott versöhnt werden, [d. h.] ehe sie Christi Reben sind. Paulus dagegen besteht dar-
auf, daß das Gesetz nicht ohne Christus erfüllt werden kann. Deshalb muß zuvor die
Verheißung empfangen werden, daß wir durch den Glauben um Christi willen mit
Gott versöhnt werden, ehe wir das Gesetz erfüllen. Wir denken, daß dies allen from-
men Gewissen genügend deutlich ist. Und daher werden sie verstehen, warum wir
oben bekannt haben, daß die Menschen durch den Glauben gerechtfertigt werden,
nicht durch die Liebe. Denn wir sollen dem Zorn Gottes nicht unsere Liebe oder
Werke entgegenhalten oder auf unsere Liebe oder Werke vertrauen, sondern auf den
Mittler Christus. Und wir müssen die Verheißung der Sündenvergebung eher ergrei-
fen, als wir das Gesetz erfüllen.
[Kernpunkt des Streites: Gewißheit der Gewissen statt Zweifel und Verzweiflung]
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Schließlich: Wann wird das Gewissen ruhig sein, wenn wir die Vergebung der
Sünden deshalb erlangen, weil wir lieben oder [270] das Gesetz erfüllen? Immer
nämlich wird uns das Gesetz anklagen, weil wir niemals dem Gesetz Gottes Genüge
tun. Wie Paulus sagt: „Das Gesetz richtet nur Zorn an“ (Röm 4, 15). Chrysostomus
fragt im Blick auf die Buße: „Woher sollen wir gewiß werden, daß uns die Sünden
vergeben sind?
Die gleiche Frage stellen auch die Gegner [CR 552] in den Senten-
zen. Das kann nicht weiter ausgeführt werden. Die Gewissen können nicht zur Ruhe
kommen, wenn sie nicht wissen, daß es Gottes Gebot und das Evangelium selbst sei,
gewiß zu glauben, daß die Sünden um Christi willen umsonst vergeben werden, und
nicht daran zu zweifeln, daß ihnen vergeben wird. Wer zweifelt, der beschuldigt die
göttliche Verheißung der Lüge, wie Johannes sagt (1. Joh 5, 10). Wir lehren, daß
diese Glaubensgewißheit im Evangelium gefordert wird. Die Gegner lassen die Ge-
wissen ungewiß und zweifelnd zurück. Nichts aber tun die Gewissen aus Glauben,
wenn sie unablässig zweifeln, ob sie Vergebung haben. Wie können sie in diesem
Zweifel Gott anrufen? Wie können sie glauben, daß sie erhört werden? So ist das
ganze Leben ohne Gott und ohne wahren Gottesdienst. Das ist es, was Paulus sagt:
„Was nicht aus dem Glauben kommt, das ist Sünde“ (Röm 14, 23). Und weil sie
fortwährend mit diesen Zweifeln umgehen, erfahren sie niemals, was Glaube ist. So
kommt es, daß sie zuletzt in Verzweiflung stürzen. Solcher Art ist die Lehre der Geg-
ner, eine Lehre des Gesetzes, eine Abschaffung des Evangeliums, eine Lehre der
Verzweiflung.
98 Chrysostomus († 407), Zwei Mahnreden an Theodor, den [in Sünde] Gefallenen, 1, Kap. 5.