Die Bekenntnisschriften - page 202

Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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keit oder Gerechtigkeit der Werke zuwege bringen; er kann von Gott reden, Gott
einen bestimmten Gottesdienst durch ein äußeres Werk darbringen, den Obrigkeiten
und den Eltern gehorchen; er kann bei der Auswahl eines äußeren Werkes die Hand
vom Mord, vom Ehebruch und vom Raub abhalten. Da in der Natur des Menschen
der Verstand und das Urteilsvermögen über Dinge, die der Wahrnehmung unterlie-
gen, erhalten geblieben sind, sind [ihm] auch das Vermögen zur Auswahl dieser Din-
ge und die Freiheit und Fähigkeit, die bürgerliche Gerechtigkeit zu bewirken, ver-
blieben. [CR 584] Denn dies nennt die Heilige Schrift die „Gerechtigkeit des Flei-
sches“, die die fleischliche Natur (d. h. die Vernunft) durch sich selbst ohne den
Heiligen Geist zuwege bringt. Doch ist die Macht der Begierde so groß, daß die
Menschen den schlechten Regungen öfter gehorchen als dem richtigen Urteil. Auch
hört der Teufel, der, wie Paulus sagt, in den Gottlosen wirksam ist (Eph 2, 2), nicht
auf, diese schwache Natur zu verschiedenen Vergehen zu reizen. Dies sind die Grün-
de, weshalb auch die bürgerliche Gerechtigkeit unter den Menschen selten ist, sehen wir
doch, daß nicht einmal Philosophen sie erreicht haben, die sie doch allem Anschein
nach angestrebt haben. Es ist aber falsch zu behaupten, daß ein Mensch, der die
Werke der Gebote ohne die Gnade tut, nicht sündigt. Und sie fügen noch weiter
hinzu,
daß derartigen Werken notwendig
die Sündenvergebung und die Rechtferti-
gung
geschuldet werden.
Denn die menschlichen Herzen ohne den Heiligen Geist
sind ohne Gottesfurcht, ohne Vertrauen gegenüber Gott; [312] sie glauben nicht, daß
sie erhört werden, daß ihnen verziehen wird, daß Gott ihnen hilft und sie bewahrt.
Also sind sie gottlos. Auch kann ein schlechter Baum keine guten Früchte brin-
gen (Mt 7, 18). Und „ohne Glauben ist’s unmöglich, Gott zu gefallen“ (Hebr 11, 6).
Auch wenn wir also dem freien Willen die Freiheit und Fähigkeit, äußere Werke
des Gesetzes zu tun, zugestehen, so schreiben wir ihm doch nicht jene geistlichen
Werke zu, nämlich wirklich Gott zu fürchten, wirklich Gott zu glauben, wirklich
darauf zu vertrauen und zu wissen, daß Gott auf uns sieht, uns erhört, uns verzeiht
usw. Dies sind die wahren Werke der ersten Tafel [der Zehn Gebote], die das
menschliche Herz nicht ohne den Heiligen Geist vollbringen kann, wie Paulus
schreibt: „Der natürliche Mensch (d. h. der Mensch, der sich nur seiner natürlichen
Kräfte bedient) vernimmt nicht das, was Gottes ist“ (1. Kor 2, 14). Und dies kann
beurteilt werden, wenn die Menschen erwägen, wie die Herzen über den Willen
Gottes denken, ob sie nämlich wirklich glauben, daß sie von Gott angesehen und
erhört werden. Diesen Glauben zu bewahren, ist auch für die Heiligen schwierig; weit
entfernt davon, daß es ihn in den Gottlosen gäbe. Er wird aber empfangen, wie wir
oben gesagt haben, wenn die tief erschrockenen Gewissen das Evangelium hören und
Trost empfangen.
Es ist also jene Unterscheidung von Nutzen, bei der die bürgerliche Gerechtigkeit
dem freien Willen zugeschrieben wird und die geistliche Gerechtigkeit der Leitung
des Heiligen Geistes in den Wiedergeborenen. So nämlich bleibt die Zucht erhalten:
Denn alle Menschen müssen in gleicher Weise wissen, sowohl, daß Gott jene bür-
gerliche Gerechtigkeit fordert, als auch, daß wir sie in gewisser Weise zuwege
bringen können. Und doch wird der Unterschied zwischen der menschlichen und der
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