Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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gen einräumen, daß, so wie die Lebenden allgemein für die ganze Kirche beten, auch
die im Himmel allgemein für die Kirche beten, so gibt es doch in den Schriften keinen
Beleg für betende Tote, mit Ausnahme jenes Traumes aus dem zweiten Mak-
kabäerbuch (2. Makk 15, 14).
[Anrufung von Heiligen bleibt unbegründbar und ungewiß]
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Ferner: Wie sehr auch die Heiligen für die Kirche beten mögen, so folgt daraus doch
nicht, daß man sie anrufen muß. Unser Bekenntnis hebt allerdings nur hervor, daß die
Schrift nicht lehrt, Heilige anzurufen oder von ihnen Hilfe zu erbitten. Wenn aber aus
den Schriften weder ein Gebot noch eine Verheißung oder ein Beispiel für die Anru-
fung der Heiligen beigebracht werden kann, so folgt daraus, daß das Gewissen keine
Gewißheit über jene Anrufung haben kann. Und da das Gebet aus Glauben geschehen
muß: Wie wissen wir, daß Gott jene Anrufung gutheißt? Woher wissen wir ohne
Schriftzeugnis, daß die Heiligen die Bitten der einzelnen hören? Manche schreiben
den Heiligen ganz offen Göttlichkeit zu, nämlich daß sie die stillen Gedanken der
Herzen in uns vernehmen. Sie streiten über die „morgendliche“ und die „abendliche“
Erkenntnis, vielleicht, weil sie zweifeln, ob sie sie morgens oder abends hören. Das
mischen sie zusammen, nicht um die Heiligen zu ehren, sondern um einträgliche
Kulte zu verteidigen. [319] Nichts kann vorgebracht werden von den Gegnern gegen
dieses Argument: Wenn die Anrufung keinen Beleg aus Gottes Wort
hat,
kann nicht
behauptet werden, daß die Heiligen unsere Anrufung vernehmen [CR 589] oder, wie
sehr sie sie auch vernehmen mögen, daß Gott sie gutheißt. Deshalb durften uns die
Gegner nicht zu einer ungewissen Sache zwingen, weil ein Gebet ohne Glauben kein
Gebet ist. Denn wenn sie [hier auch] das Beispiel der Kirche heranziehen – so steht
doch fest, daß dies eine neue Sitte in der Kirche ist. Denn obwohl die alten Gebete die
Heiligen erwähnen, so rufen sie die Heiligen doch nicht an. Doch ist auch jene neue
Anrufung in der Kirche etwas anderes als die Anrufung der einzelnen.
[Unverantwortbares Überbieten: Heilige nicht nur als „Fürbitter“, sondern auch als
„Versöhner“]
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Darüber hinaus fordern die Gegner beim Heiligenkult nicht nur die Anrufung, son-
dern eignen Verdienste der Heiligen auch anderen Menschen zu; sie machen aus den
Heiligen nicht nur Fürbitter, sondern auch Versöhner. Das ist auf keine Weise zu
dulden. Denn hier wird Christi eigene Ehre ganz auf die Heiligen übertragen. Sie
machen sie nämlich zu Mittlern und Versöhnern; und obwohl sie zwischen „Mittlern
der Fürsprache“ und „Mittlern der Erlösung“ unterscheiden, machen sie doch offen
aus den Heiligen „Mittler der Erlösung“. Und auch jenes behaupten sie ohne einen
Beleg aus der Schrift (nämlich daß sie „Mittler der Fürsprache“ seien), was, sehr
gelinde gesagt, gleichwohl das Amt Christi verfinstert und das Christus geschuldete
Vertrauen auf Barmherzigkeit auf die Heiligen überträgt. Denn die Menschen stellen
sich vor, daß Christus härter urteilt und die Heiligen versöhnlicher; sie vertrauen der
Barmherzigkeit der Heiligen mehr als der Barmherzigkeit Christi; sie fliehen Christus
und suchen die Heiligen. So machen sie aus ihnen in der Tat „Mittler der Erlösung“.